Karriere: Erst Kaarst, dann Kabul

Kani Taher kickte zwei Jahre in Kaarst. Jetzt holt ihn das afghanische Nationalteam.

Karriere: Erst Kaarst, dann Kabul
Foto: Christian Kurth

Rhein-Kreis Neuss. Die freudige Nachricht kam per E-Mail. Der 22-jährige Korschenbroicher Kani Taher solle künftig in der afghanischen Fußball-Nationalmannschaft spielen, lautete am 23. Januar die Einladung an den designierten „National Team Player“. Die Berufung ins Nationalteam der „Afghanistan Football Federation“ ist verbunden mit der Einladung in ein 14-tägiges Trainingscamp nach Doha in Katar. Dort will sich die afghanische Auswahl in den ersten beiden Februarwochen auf den „AFC Challenge Cup 2014“ vorbereiten, der Mitte Mai auf den Malediven unter acht asiatischen Nationalteams ausgespielt wird.

Das alles klingt nach Urlaub, aber es geht um beinharten Leistungssport. „Es würde mich stolz machen, für mein Heimatland spielen zu dürfen“, sagt Taher voller Vorfreude. „Afghanistan liegt mir sehr am Herzen.“ Der gebürtige Kabuler, der seit Saisonbeginn für die U 23 von Alemannia Aachen in der Fußball-Oberliga spielt, war noch als Säugling mit seinen Eltern aus der krisen- und kriegsgebeutelten Region nach Deutschland geflüchtet.

In Korschenbroich, seiner neuen Heimat, startete er beim örtlichen VfB als Sechsjähriger in der „Pampers-Liga“ seine Kicker-Karriere. Rasch wurden Nachbarclubs auf das Talent des Mittelfeldakteurs aufmerksam. Er spielte in den Nachwuchsteams beim Rheydter SV, dem SC Wegberg-Beeck und von Fortuna Düsseldorf. Zum Profi-Fußballer reichte es vorerst nicht, doch der Trainer der SG Kaarst, Dirk Schneider, erkannte rasch die außergewöhnliche Fußballbegabung des dynamischen Afghanen.

Zwei Jahre kickte Taher am Kaarster See, ehe er auf Empfehlung eines Scouts zum Oberliga-Aufsteiger SV Uedesheim wechselte. In der fünften Liga setzte er sich sofort durch. Mit seiner robusten Zweikampfstärke und seinen filigranen Pässen hatte er in der letzten Saison als „Sechser“ maßgeblichen Anteil am überraschenden Klassenerhalt des kleinen Dorfclubs.

Sein Wirtschaftsingenieur-Studium verschlug Taher Mitte vergangenen Jahres nach Aachen. Beim örtlichen Traditionsclub avancierte er zum Vertragsspieler im U23-Team von Alemannia Aachen. Schließlich fiel Taher auch den Scouts der afghanischen Nationalmannschaft ins Auge. Zwar ist das Land ein Zwerg auf der Fußball-Landkarte, aber der ehrgeizige Korschenbroicher, der schon als Abiturient mit seinem Vater ein Taxiunternehmen aufbaute, freut sich riesig über die Berufung. Fußball gilt inzwischen als Volkssport in dem klassischen Hockeyland. Bei Länderspielen ist das Stadion in Kabul mit 30 000 Zuschauern stets ausverkauft. Viele Millionen Afghanen säßen an den Bildschirmen, erzählt Taher, der noch nahe Verwandte in Afghanistan hat. „Mit Sport kann man wirklich viel bewegen.“ Im vergangenen Jahr hat die afghanische Fußball-Nationalmannschaft, die auf Platz 138 der Fifa-Weltrangliste rangiert, sogar die Südasien-Meisterschaft errungen.

Die meisten afghanischen Nationalkicker spielen im Ausland Fußball, viele in Deutschland — wie Keeper Faqiryar oder Mittelfeldakteur Taher — in der vierten oder fünften Liga. Mit diesen Amateur-Spielern hat das Fußballentwicklungsland in den letzten acht Jahren immerhin 68 Plätze in der Fifa-Weltrangliste aufgeholt. Schon träumen sie in Kabul von einer Teilnahme an einer Qualifikation zur Fußball-WM. Irgendwann.

Trotz aller hochfliegenden Fußballpläne ist Kani Taher bescheiden und bodenständig geblieben. Als im letzten Sommer sein Wechsel zu Alemannia Aachen feststand, kam er zurück an den Kaarster See. Dort holte sich der energische Balleroberer in Einzeltraining bei SG-Coach Schneider Fitness und Physis für den neuen Club. Auch bei seinem ehemaligen Kaarster Co-Trainer, Cengiz Yavuz, der zwischenzeitlich den A-Liga-Aufsteiger VfR Büttgen trainiert, sucht Taher immer noch fußballerischen Rat. Wenn er über seine Fußballkarriere spricht, denkt Taher häufig an das Trainerduo Schneider und Yavuz. „Die beiden sind wirklich fantastisch“, lobt Taher, „denen habe ich sehr, sehr viel zu verdanken auf meinem Fußballweg.“ Ein weiter Weg — von Kaarst nach Kabul.

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