Kriegstagebuch in Kaarst gefunden Kriegsgefangener für 1265 Tage

Kaarst · Wilhelm Junkers kehrte am 2. November 1948 aus der Gefangenschaft zurück. In dieser Zeit schrieb er ein Tagebuch.

 Wilhelm Junkers in seiner Uniform. Im Jahr 1938 wurde er zum „Arbeitsdienst“ einberufen, wie er in seinem Tagebuch schreibt.

Wilhelm Junkers in seiner Uniform. Im Jahr 1938 wurde er zum „Arbeitsdienst“ einberufen, wie er in seinem Tagebuch schreibt.

Foto: seeg

Mit Glück und Geschick hat der Soldat Wilhelm Junkers den Zweiten Weltkrieg überlebt. Er war eigentlich schon auf dem Heimweg, als er 1945 in russische Gefangenschaft geriet. Er hat seine Erlebnisse in einem Tagebuch aufgeschrieben.

Als Deutschland im Mai 1945 kapitulierte, lag Junkers mit einem Granatsplitter in der rechten Hand in einem Lazarett in Königgrätz, dem heutigen Hradec Králové in der Tschechischen Republik. Doch das Ende des Krieges war für ihn nur der Beginn eines neuen Albtraums: Drei Jahre verbrachte der Rheinländer, der später in Kaarst lebte und dessen Tagebuch nach dem Tod seiner Ehefrau Maria gefunden wurde, in russischer Gefangenschaft. In einem Arbeitslager 900 Kilometer östlich von Moskau erfuhr Junkers, was Hunger bedeutet. Er überstand schwere Krankheiten und sah mit an, wie viele seiner Kameraden an den Folgen der Kriegsgefangenschaft starben.

„Am 8. Mai 1945 um 6 Uhr in der Früh ertönte der Lautsprecher: ‚Achtung, Achtung, alle gehfähigen Patienten sofort mit sämtlichem Gepäck im Hof antreten’, hieß es. Ich schnürte mein Bündel bestehend aus Waschzeug, einer Wolldecke und anderen Sachen, die man als Soldat so mitführte. Es wurde bekannt gegeben, dass Deutschland bedingungslos kapituliert hatte und der Krieg verloren sei. Die Rote Armee stand 30 Kilometer vor Königgrätz, und so hieß es weiter: ’Wer bis zum 9. Mai 1945, null Uhr über die Moldau ist, kommt zum Ami. Die anderen bleiben beim Iwan!’“ – so beginnt das Tagebuch von Wilhelm Junkers. Im Juli 1945 erreichte er mit rund 1000 weiteren Soldaten Langassowo. Er schreibt von schlechter Verpflegung und davon, dass im September das große Sterben anfing. „Die Todesfälle nahmen von Woche zu Woche zu, später von Tag zu Tag“, steht in Junkers’ Kriegstagebuch. Seine Rettung damals waren erfrorene Füße. Nur deshalb wurde er in ein Hospital gebracht. „Ich hatte ein Gefühl, als wenn ich dem Tode entronnen wäre“, schreibt Junkers über diesen Moment.

Mit 14 anderen Ruhrkranken teilte sich Junkers eine Hütte

Die fürchterlichste Krankheit stand ihm aber noch bevor: Die Ruhr. 1947 war in dem Lager, in das Junkers im Austausch mit 100 Ungarn geschickt wurde, eine regelrechte Epidemie ausgebrochen. 14 Ruhrkranke teilten sich eine kleine Hütte, als Unterlagen dienten Strohsäcke. Es muss ein unmenschlicher Gestank geherrscht haben, Tag und Nacht schrie jemand vor Schmerzen. „Der Arzt verkaufte Medizin lieber an Zivilisten gegen Milch, Butter und Eier anstatt den Kranken zu helfen“, hielt Junkers fest. Er lebte zehn Tage lang nur von heißem Wasser. Nach drei Wochen Qual kam eine Ärztin, die sich das nicht mehr mit ansehen konnte. Endlich wurden Junkers und Co. behandelt: mit Medikamenten und Diätkost. Den ersten Transport im August 1946 hatte Junkers noch verpasst, doch am 14. Oktober 1948 war es dann endlich soweit. Am 2. November 1948, genau zehn Jahre nach seiner Einberufung in den Wehrdienst, erhielt Wilhelm Junkers seinen Entlassungsschein. Im Heimkehrerlager Gronenfelde bei Frankfurt/Oder gab es 50 D-Mark Entlassungsgeld. Doch Junkers wollte raus aus der sowjetischen Zone und fuhr über Cottbus, Leipzig, Erfurt und Heiligenstadt über die Grenze. Am 10. November 1948 kam er in seiner Heimat an. „Es folgte endlich das, wonach ich mich all die Jahre so sehr gesehnt hatte: Das Wiedersehen mit den Lieben zu Hause“, heißt es am Ende der Aufzeichnungen.

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