42 000 KM-Tour per Rad im Alleingang

Kaarst. Als sie zu ihrer Reise aufbrach, war ihre Familie gerade zwei Tage zuvor von Kaarst nach Willich gezogen. Diesen neuen Wohnsitz muss sie nun, drei Jahre später, erst kennenlernen.

Swinde Wiederholt, 25 Jahre alt, hat in dieser Zeit wohl mehr gesehen, erlebt und erfahren als viele Menschen in ihrem ganzen Leben. Die Kaarsterin kehrte am Samstag von einer der Vielleicht längsten Radtouren der Geschichte zurück. In der Kaarster Musikschule von Mark Koll wurde sie von ihrer Familie, Freunden und Weggefährten herzlich empfangen.

„Es ist so schön, dass sie wieder bei uns ist“, sagte Tillmann Wiederholt, als seine Tochter in Begleitung ihrer 84-jährigen Großmutter Jenny über die Ludwig-Erhard-Straße entlang gerollt kam. Pünktlich erreichten die beiden Seelen-Verwandten das gesteckte Endziel der Reise, zu der Swinde am 12. Dezember 2010 angetreten war. Oma Jenny hatte 1951 ihre Hochzeitsreise nach Marokko mit dem Drahtesel unternommen. Nun fuhr sie mit Swinde durch den Sturm Xaver nach Kevelaer und die letzten sieben Kilometer bis zum Ziel.

42 885 Kilometer hat Swinde Wiederholt zurückgelegt. Die Idee zu dieser Reise hatte sie schon lange. Die Vorstellung, 45 Jahre im Polizeidienst arbeiten zu müssen, veranlasste sie, ihrem inneren Wunsch, die Welt zu entdecken, nachzugeben und ihre Karriere bei der Polizei aufzugeben.

Sie legte als Ausgangspunkt Ushuaia auf Feuerland und als ihr Ziel Prudhoe Bay in Nord-Alaska fest, der Rest der Route und auch die Dauer waren unbestimmt. „Ich wollte keinen sportlichen Rekord aufstellen, sondern die Menschen und Kulturen kennenlernen“, erklärt Swinde. Begeistert haben sie besonders Bolivien und Peru. Ohne ein Wort Spanisch zu können, machte sie sich auf ihren Weg, heute sitzt sie sprachlich in Spanisch und Englisch fest im Sattel.

Die schönen Erlebnisse und die beeindruckenden Landschaften überwiegen die wenigen negativen Erfahrungen. Brenzlig wurde es nur, als sie auf der Lagunenroute in Bolivien die Orientierung verlor und Minenarbeiter ihr den Weg zu einer Straße zeigten. „Wenn man sich an bestimmte Regeln hält, ist es nicht gefährlich“, meint sie. So sei sie nachts nie unterwegs gewesen. Aufgefallen sei sie als allein reisende blonde junge Frau oft, belästigt oder beraubt wurde sie nie. Vier Sätze Reifen und viele Bremsklötze hat sie verschlissen, es gab auch Pannen, das Fahrrad funktioniert heute aber noch so gut wie bei der Abreise.

In einem Internetblog veröffentlichte sie ihr tägliches Reisetagebuch, machte tausende Fotos. Ihren Lebensunterhalt hatte sie mit dem knappen Budget von 10 Euro pro Tag geplant, manchmal reichte es, manchmal waren die Kosten viel höher, im Mittel passte es aber. Jetzt sei ihr Speicher randvoll, und sie müsse die unendlich vielen Eindrücke ihrer Reise verarbeiten, bekennt die Radwanderin.

Sorgen um ihre Zukunft macht sie sich nicht. Zur Polizei könne und wolle sie nicht zurück. Sie hat viel zu erzählen, in Diavorträgen möchte Swinde von ihrer Reise berichten und möglichst viele Menschen daran teilhaben lassen. Vielleicht schreibt sie auch ein Buch, wer weiß. „Ich habe viele Ideen gesammelt, die muss ich erst einmal sortieren und überdenken.“

Zur Feier waren auch Elisabeth und Rupert aus Bayern nach Kaarst gekommen. Sie hatten Swinde auf ihrer Langzeitreise mit dem Motorrad in Peru getroffen und rieten ihr jetzt, sich mit allem Zeit zu lassen: „Der Kulturschock kommt erst noch.“

Willich wird für Swinde Wiederholt wohl nicht die Endstation werden. Eine Fahrradtour in Richtung Osten, vielleicht bis nach China, kann sie sich schon vorstellen — „aber nicht heute oder morgen.“

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