Verkehrserziehung: Mit Vollgas in die Schaumstoffwand

Polizei will Jugendlichen Bewusstsein für vernünftiges Fahrverhalten vermitteln.

Grevenbroich. Vollbremsung mit Tempo 70: Fahrer Hubert Jansen von der Kreispolizeibehörde geht in die Eisen, die Bremsen quietschen. Ein Ruck reißt mich vom Beifahrersitz nach vorn, nur der Gurt hält mich fest. Für Sekundenbruchteile sehe ich, wie das Auto durch eine Schaumstoffwand brettert, die Blöcke fliegen meterweit durch die Luft. Als der Wagen zum Stehen kommt und wir aussteigen, ist zu sehen, dass ein Schaumstoffblock unter dem Auto hängt. Er wurde ein paar Meter mitgeschleift.

Was geschehen wäre, wenn anstelle des weichen Hindernisses ein Kind gestanden hätte, ist allen nur zu gut bewusst. Polizeihauptkommissar Jansen und seinen Kollegen von der Kreispolizeibehörde ebenso wie den 11er Schülern des Pascal-Gymnasiums, die vom Straßenrand aus zugesehen haben.

Der Schaumstoff-Crash ist nur einer von mehreren Fahr- und Bremsversuchen, mit dem das Polizei-Projekt „Junge Fahrer im Rhein-Kreis Neuss“ das Bewusstsein junger Autofahrer für vernünftiges Fahrverhalten schärfen will. In anschließenden Gesprächsrunden geht es um Themen wie Alkohol, Drogen und andere Risikofaktoren im Straßenverkehr.

Noch steckt das Projekt in der Pilotphase: Etwa die Hälfte der Gymnasien, Gesamtschulen und Berufsbildungszentren im Kreis waren dabei, insgesamt 1700 Jugendliche. Nächstes Jahr soll es flächendeckend an allen derartigen Schulen laufen. Am Donnerstag waren die Pascal-Schüler an der Reihe. Einige der 17- und 18-Jährigen haben schon den Führerschein, andere machen ihn gerade.

Bereits Anfang des Jahres hatten sie am so genannten „Crash Kurs NRW“ teilgenommen und dabei eindringliche, teils schockierende Videos aus der Realität von Polizisten, Notärzten und Unfallopfern angeschaut. Für die Kreispolizei ein Erfolgsprojekt: Seit Beginn vor gut zwei Jahren haben bereits 10 000 Schüler am Crash-Kurs teilgenommen, keine andere Landratsbehörde hat eine fünfstellige Teilnehmerzahl geschafft.

Mit „Junge Fahrer“ hat die Polizei im Kreis ein Anschlussprojekt auf die Beine gestellt. Während der Crash Kurs auf Emotionen setzt, geht es in diesem zweiten Teil um verantwortungsvolles Fahren. Zum Einstieg erleben die Schüler, teils als Mitfahrer, live, wie sich der Bremsweg mit der Geschwindigkeit verändert. Bei einer Vollbremsung mit 50 km/h kommt das Auto nach gut zwölf Metern zum Stehen.

Genau dort wird nun eine Wand aus Schaumstoffblöcken aufgebaut, durch die der Wagen bei der Vollbremsung mit 70 km/h hindurchschießt. Erst weit hinter dem Hindernis kommt er zum Stehen — nur 20 Stundenkilometer Unterschied, die im Ernstfall über Leben oder Tod entscheiden können.

Die Entscheidung liegt indes nicht allein bei der Person am Lenkrad, wie der Projekttag zeigt. Mädchen wünschen sich als Beifahrer meist keinen waghalsigen, sondern einen vorausschauenden Fahrer. Doch nur wenige trauen sich, das Problem anzusprechen, so die Erfahrung von Polizeihauptkommissar Gereon Hogenkamp: „Nach der Veranstaltung hören wir oft von Teilnehmerinnen: Es ist gut, dass Sie uns Mut gemacht haben.“

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