Prekärer Wohnraum in Grevenbroich Politiker fordern Herbergs-Auflagen

Grevenbroich. · Eine Wohnraumsatzung wurde von der Verwaltung 2018 abgelehnt. Nun startet „Mein Grevenbroich“ eine Ratsinitiative. Beengte Unterkünfte sollen als „Herbergen“ betrachtet werden, damit höhere Anforderungen gelten.

 Im Grevenbroicher Bahnhofsviertel, aber auch in Gustorf, Gindorf, Neurath und Frimmersdorf gibt es Probleme mit „Monteur-Wohnungen“.

Im Grevenbroicher Bahnhofsviertel, aber auch in Gustorf, Gindorf, Neurath und Frimmersdorf gibt es Probleme mit „Monteur-Wohnungen“.

Foto: Berns, Lothar (lber)

Ausgerechnet eine Bluttat ermöglichte im Dezember 2019 einen Blick hinter normalerweise verschlossene Türen von Arbeiterquartieren: An der Neurather Straße in Allrath erlitt ein damals 44 Jahre alter Mann aus Bulgarien schwere Verletzungen durch mindestens zwei Messerstiche. Der Schuldige, ein 35 Jahre alter Landsmann des Opfers, wurde am Mittwoch zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der Streit der beiden, so erfuhren die Zuhörer im Prozess, ging um einen Autokauf.

Für die Grevenbroicher Polizei war es damals ein Großeinsatz. Zahlreiche Streifenwagen fuhren zur Neurather Straße, denn auf drei Etagen wohnten dort Arbeiter aus den Balkanländern. Die aufgeregten Bewohner mussten damals von den Beamten auf ihre Zimmer gebeten werden; anschließend wurden Personalien aufgenommen.

Zusammengepfercht auf engstem Raum waren die meisten von ihnen bei einer Gerüstbaufirma beschäftigt. Die mit mehreren Personen belegten Zimmer in dem Allrather Altbau mussten sie nach Aussagen im Prozess teuer bezahlen. Abends werde häufig getrunken, berichteten Kollegen von Täter und Opfer in der Hauptverhandlung. Und auch die von unserer Redaktion befragten Nachbarn gaben unmittelbar nach der Tat an, die Häuser an der Neurather Straße und ihre Bewohner auf Zeit würden argwöhnisch beäugt. Oftmals sei es dort laut. Ein Nachbar hat zahlreiche Videokameras installiert.

Eine SPD-Initiative ließ die Verwaltung ins Leere laufen

Stadt und Ordnungsamt sollen nun bei allen Quartieren für Monteure und Zeitarbeiter viel genauer hinsehen. Diese Forderung stellt Martina Suermann von „Mein Grevenbroich“ auf: „Seit Jahren und nicht erst seit der aktuellen, bundesweiten Debatte rund um die schlechten Arbeitsbedingungen und die teilweise katastrophale Unterbringung von Leiharbeitern weisen wir immer wieder auf die grundsätzlichen Missstände und die entsprechende Zweckentfremdung von Wohn- und Gewerbeimmobilien auch in Grevenbroich hin.“

Eine SPD-Initiative für eine Wohnraumsatzung in Grevenbroich im Jahr 2018 ließ die Verwaltung ins Leere laufen. Angeblich seien die dadurch möglichen Auflagen für die Vermieter schwer durchzusetzen und zu kontrollieren. So liegen im Rathaus nur ungenaue Angaben dazu vor, wo überall im Stadtgebiet Menschen dicht an dicht hausen, weil sie in prekären Arbeitsverhältnisse und zu Niedriglöhnen beschäftigt sind.

Gewerkschaftsbund fordert stärkere Kontrollen der Leiharbeit

Der Deutsche Gewerkschaftsbund wettert seit Jahren gegen die unzumutbaren Zustände rund um Leiharbeiter und Hilfskräfte – die in Industrie und Landwirtschaft eingesetzt werden. Das System der Leiharbeit müsse schärfer kontrolliert werden. Beschäftigungsorte, Wohnorte und Sozialversicherung von Leiharbeitern und solchen mit Werkverträgen müssten wesentlich engmaschiger kontrolliert werden, so der DGB.

Martina Suermann von „Mein Grevenbroich“ meldet sich deshalb jetzt mit einer eigenen Ratsinitiative zu Wort. Sie verweist auf die Stadt Goch. Dort werden Leiharbeiterunterkünfte als Herbergsbetriebe eingestuft. An Herbergsbetriebe sind sehr hohe Anforderungen an die Ausstattung, die Sanitäranlagen sowie  Waschgelegenheiten geknüpft. Auch dem Brandschutz gilt in solchen Betrieben eine hohe ­Aufmerksamkeit.

Suermann fordert die Verwaltung auf, diesem Beispiel zu folgen: „Es kann nicht sein, dass einige Eigentümer ihre Immobilien mit dem Ziel der Gewinnmaximierung derart „zweckentfremden“ können, ohne Rücksicht auf das Wohl der betroffenen Leiharbeiter, aber auch der Allgemeinheit, die die sozialen Auswirkungen auf ihr Wohnumfeld zu ertragen hat. Diese Haltung gefährdet aus unserer Sicht den sozialen Frieden in den betroffenen Lebensräumen immens. Das dürfen wir nicht zulassen, deshalb erwarten wir konsequentes Handeln!“

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