Ablenkung von Fukushima

20 Kinder aus der japanischen Krisenregion erleben im Rhein-Kreis Neuss eine gute Zeit.

Rhein-Kreis Neuss. Wie ein flinker Fisch gleitet Elina Shima durch das Schwimmerbecken im Neusser Nordbad. „Hier kann ich vieles von Zuhause vergessen“, sagt die zwölfjährige Japanerin.

Noch im März lebte sie mit ihrer Familie in Minamisoma — rund 20 Kilometer nördlich des havarierten Atomkraftwerks von Fukushima. Nachdem das Erdbeben und der Tsunami den Alltag im Land des Lächelns verdunkelte, musste die Familie ihr Eigenheim verlassen und weiter ins Landesinnere ziehen. „Nur mein Vater blieb dort. Er muss arbeiten und schläft deshalb oft im Auto“, sagt sie.

Zusammen mit 19 betroffenen Kindern aus Fukushima, die ihr Heimatland noch nie verlassen haben, ist Elina jetzt im Rhein-Kreis Neuss zu Gast. „Das Unglück hat uns geschockt. Wir haben sie deshalb zu einer einwöchigen Ferienfreizeit eingeladen“, sagt Thomas Lang, Vorsitzender des Kreissportbundes. Seit knapp einem Jahrzehnt kooperiert der Sportbund mit der Präfektur, bildet jährlich japanische Studenten zu Vereinsmanagern aus.

„Hier können die Kinder sorgenfrei frische Luft atmen und haben Spaß“, sagt Mitsuro Kurosu, der das Vereinsleben in Japan koordiniert und die jungen Gäste in Deutschland begleitet. „Es ist zurzeit schwer, in Fukushima so fröhliche Gesichter zu sehen. Alle haben Angst.“

Die Kinder wohnen bei Gastfamilien — in allen acht Städten und Gemeinden des Kreises. „Sie haben die Jungen und Mädchen wie ihre eigenen Kinder aufgenommen. Das hat mich beeindruckt“, sagt Kurosu. Um das Verhältnis zu vertiefen, stand am Freitag ein Familientag auf dem Programm. Am Samstag fahren die Kinder nach Köln, besuchen den Dom und machen eine Schifffahrt. Am Montag geht’s in die Skihalle.

„Die Kinder haben zudem die Möglichkeit, das deutsche Sportabzeichen zu machen“, sagt Lang. „Wir haben bereits auf der Anlage des TSV Bayer Dormagen trainiert und dort die ersten Leistungen abgenommen.“ Im Sportzentrum Büderich messen sich die Kinder am Sonntag in Ballsportarten.

„Es ist super, dass wir hier so viel Sport machen können“, sagt Kento Sato. Der 14-Jährige spielt in Japan Fußball und läuft Marathon. „Aber wegen der Strahlung können wir in Fukushima kaum trainieren. Pro Tag ist nur eine Stunde Sport erlaubt.“

Am Dienstag erhalten die Kinder im Kreishaus das Sportabzeichen. Dann fliegen sie zurück in die Heimat — pünktlich zum Schulbeginn, der für viele auch ein Neuanfang ist. Denn die völlig zerstörte Schullandschaft musste nach der Katastrophe wieder aufgebaut werden.

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