Politiker und Mediziner im Gespräch mit der AOK „Wir haben viel zu spät an die Kinder und Jugendlichen gedacht“

Korschenbroich · Die Folgen der Pandemie wiegen teils schwer. Die Auswirkungen für Kinder und Jugendliche sind nach Ansicht einer Kölner Kinderklinikdirektors viel zu spät in den Fokus gerückt.

 Der Journalist Jens Olesen (WDR) im Gespräch mit den Professoren Karl Lauterbach (SPD, MdB) und Hendrik Streeck, Virologe an der Universität Bonn (v.l.).

Der Journalist Jens Olesen (WDR) im Gespräch mit den Professoren Karl Lauterbach (SPD, MdB) und Hendrik Streeck, Virologe an der Universität Bonn (v.l.).

Foto: Ulla Born

Versprechen kann in diesen Tagen niemand etwas, schon gar nicht ein Politiker, erst recht nicht Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Also sagte Spahn lediglich zu, alles dafür zu tun, dass in einer 4. Welle der Pandemie nicht wieder alle Schulen geschlossen werden. Das hatte sich ein Schüler gewünscht. Und sein Wunsch wurde in der Veranstaltung „AOK“ im Dialog an den Minister herangetragen.

Bemühen bekunden, aber nichts versprechen. Die Politik hat gelernt. Sie lernte aus ihren Fehlern, und sie lernte auch, Widerstände auszuhalten. Spahn beispielsweise bleibt bei seiner Aussage, es sei besser 1000 überteuerte medizinische Masken zu viel bestellt zu haben, als eine Maske zu wenig. „Mir haben Ärzte gesagt, wenn wir keine Masken bekommen, müssen wir unser Krankenhaus schließen“, erklärte der digital zugeschaltete Minister.

AOK im Dialog, die Allgemeine Ortskrankenkasse Rheinland/Hamburg war im beschaulichen Korschenbroich am Niederrhein im Gespräch mit Politikern wie Maria Klein-Schmeink von den Grünen, Karl Lauterbach SPD und eben Jens Spahn sowie mit dem Bonner Virologen Hendrik Streeck. Der Versuch, Antworten zu finden auf die Fragen von heute über das Gesundheitswesen von morgen. „Wir haben viel zu spät an die Kinder und Jugendlichen gedacht“, warf der Direktor der Kinderklinik an der Uni Köln, Prof. Jörg Dötsch, ein. Konsequenz: „Wir müssen mehr Kinderpsychologische Praxen zulassen“, sagte Maria Klein-Schmeink, die für die Grünen im Bundestag sitzt. Gesagt, getan? Vermutlich eher nicht. Denn auf der einen Seite geht es um Bedarf und Nachfrage, auf der anderen Seite geht es um Ressourcen und Geld. Zwar räumten alle Beteiligten ein, dass sich das System in der wohl größten Krise der Nachkriegsgeschichte bewährt hat, aber der Preis dafür ist hoch, und die Sünden der Vergangenheit wiegen schwer.

Da kommt noch einiges auf Deutschland zu, wenn die Prognosen stimmen, die unter anderem Karl Lauterbach beisteuerte. Demnach werden in der Bundesrepublik jedes Jahr 5000 Ärzte zu wenig ausgebildet. Damit stelle sich in absehbarer Zeit nicht mehr die Frage, ob es zwischen Flensburg und Passau zu viele Krankenhäuser gebe, sondern ob es nicht genug gibt. „Wir sind die zweitälteste Gesellschaft nach Japan“, fügte AOK-Vorstandsmitglied Matthias Mohrmann hinzu und beschrieb so die künftigen Herausforderungen für Medizin und Pflege in Deutschland.

Auch vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, wie die aktuelle Qualität des Gesundheitswesens wenigstens gehalten werden kann. Abgesehen davon, dass AOK-Vorstandschef Günter Wältermann sich eine frühere Beteiligung der Kassen in Fragen der Gesundheitspolitik wünscht, geht es letztlich in erster Linie um Geld. „Es wäre gut, wenn die Wirtschaft bei der Krankenversicherung nicht mehr von Lohnnebenkosten spräche“, sagte Gesundheitsminister Spahn. Das deutsche Krankenpflege-System habe sich auch im Vergleich mit den meisten anderen Ländern der Erde sehr bewährt. „Es ist ein Standortfaktor“, so Spahn. Er wünscht, dass die Finanzierung dieses Faktors nicht mehr allein über Beiträge geleistet wird, die in Deutschland nicht jeder zahlen muss. Spahn brachte im Sinne der Fairness eine Mitfinanzierung über Steuern ins Gespräch.

Das System ist teuer, das System ist fragil, und alle Experten sind sicher, dass Corona nicht die letzte pandemische Geißel der Menschheit ist. Sich darauf vorzubereiten und dann darauf vorbereitet zu bleiben, ist aus Sicht von Hendrik Streeck ein Gebot der Stunde. Er plädiert deshalb schon jetzt lautstark für einen ständigen Pandemierat. Er soll die Entwicklung auf allen Ebenen und in allen Teilen der Gesellschaft beobachten und den Politkern Entscheidungshilfen geben. Dass dieser Vorschlag nicht auf ungeteilte Gegenliebe stößt, verhehlte der SPD-Bundestagsabgeordnete Lauterbach nicht.

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