Bundespräsident a.D. in Neuss „Die Deutschen können Freiheit“

Neuss. · Der ehemalige Bundespräsident zeigte sich im Zeughaus zuversichtlich, dass Ost und West noch zusammenwachsen werden.

Dass die Demokratie in Deutschland jemals wieder einer Diktatur Platz machen könnte, hält Alt-Bundespräsident Joachim Gauck für ausgeschlossen. Die Deutschen seien nach Nazi-Terror und SED-Diktatur „doppelt geimpft“, sagte er am Dienstagabend vor 500 Zuhörern im Zeughaus. „Wir können widerstehen“, sagte Gauck, der dem aktuellen Höhenflug populistischer Parteien im Osten mit Gelassenheit und Zuversicht begegnete. Die, so wörtlich, „mangelnde Relevanz von Rechtsaußen“ werde dazu führen, dass sich das Thema erledigt: „Im Laufe der Zeit wird sich der Osten dem Lebensgefühl und der politischen Grundstimmung im Westen anpassen“, sagte er und stellte fest: „Die Mehrheit der Ossis wählt, was der Westen wählt.“

Gauck, der überhaupt erst zweite Bundespräsident, der die Stadt Neuss besucht, kam auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung. Weil friedliche Revolution und Mauerfall 1989 eine Zäsur darstellen, die nicht nur nach Überzeugung von Ludger Gruber erhebliche Folgen hatte, verband der Landesbeauftragte der Stiftung Gaucks Einladung mit der Hoffnung auf eine Bestandsaufnahme und einen Ausblick. „Jubiläen zwingen uns zu einer Standortbestimmung, bedeuten aber auch eine Zukunftsdebatte“, sagte Gruber, der Gaucks Vortrag mit der Überschrift versah: „30 Jahre Friedliche Revolution – am Ende siegt die Freiheit.“

Auch wenn der Bundestagsabgeordnete Hermann Gröhe als Schirmherr feststellen muss, dass „die Wertschätzung von Freiheit heute unter die Räder gekommen ist“, strahlt aus der Vergangenheit der Wendezeit nach Gaucks Darstellung die Gewissheit herüber, „dass die Deutschen Freiheit können.“ Das, so Gauck, sei das Geschenk der Menschen im Osten an die im Westen. Und deren Beitrag? Dass sie nach dem tiefsten Fall in der Geschichte eine soziale Marktwirtschaft, eine gute Demokratie und einen verlässlichen Rechtsstaat aufgebaut haben.

Mehr als 500 Menschen waren im Zeughaus, doch als eigentliche Adressaten seiner Rede hatte Alt-Bundespräsident offenkundig eine große Schülergruppe des Knechtstdener Norbert-Gymnasiums in den vorderen Reihen ausgemacht. Diesen „Nach-Mauerfall-Geborenen“ veranschaulichte er, was „das Leben in einer Diktatur mit Menschen macht“. Und an die Zuhörer gerichtet stellte er fest: „Sie alle würden in der DDR funktioniert haben.“ Einige wären sicher abgehauen, andere hätten versucht, in einer Nische ihre eigene Identität zu wahren, die Masse aber hätte sich angepasst. Staatliche Einschüchterung, von Gauck „Strategie der Entmächtigung“ genannt, hätte in der DDR am Ende dafür gesorgt, dass sich die Menschen daran gewöhnten, „nirgendwo mehr ihre Meinung zu sagen“. Aber das Volk sei schließlich aus diesem Dämmerzustand erwacht – auch weil sich im Privaten oder kirchlichen Gruppen Tugenden wie Mut, Tatkraft und Hoffnung erhalten haben.

Die Wende setzte einem Staat ein Ende, in dem auch Gaucks Familie Unrecht erdulden musste. Der vater zu Unrecht im Gefängnis, die Kinder – weil nicht Mitglied der Jugendorganisation FDJ – am beruflichen Fortkommen behindert, der Vater als evangelischer Pastor von der Stasi der DDR bespitzelt. Gaucks Bericht aus einem untergegangenen Land war weder bitter noch anklagend – und gerade deshalb so authentisch. So warb er auch um Verständnis für seine Landsleute im Osten, die eben vor 1989 nicht lernen konnten, „einen Klassensprecher zu wählen“, sagte Joachim Gauck, der auch erklären konnte, warum dem „Rausch der Freiheit“ in der Wendezeit, Frust und Missstimmung folgen konnten.

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