Verfassungsreform verabschiedet Neuer Paragraf 37a: Sachsen-Anhalt will antifaschistisch werden

Magdeburg · Wenige Tage nach dem Anschlag von Hanau schreibt der Magdeburger Landtag den Antifaschismus als Staatsziel in die Verfassung. Möglich ist das nur durch die Zusammenarbeit von CDU und Linken. Nur eine Partei stellt sich gegen den überparteilichen Konsens.

 Landtagsabeordnete stimmen im Plenarsaal ab. In der 96. Sitzung stimmen die Abgeordneten über den Gesetzentwurf für die Parlamentsreform 2020 ab.

Landtagsabeordnete stimmen im Plenarsaal ab. In der 96. Sitzung stimmen die Abgeordneten über den Gesetzentwurf für die Parlamentsreform 2020 ab.

Foto: dpa/Peter Gercke

Sachsen-Anhalt will ein antifaschistisches Land werden. Mit großer Mehrheit hat der Landtag am Freitag eine Verfassungsreform verabschiedet, die das verlangt. „Die Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, die Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie rassistische und antisemitische Aktivitäten nicht zuzulassen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und Verantwortung jedes Einzelnen“, lautet der neue Paragraf 37a der Landesverfassung. Eine in deutschen Landesverfassungen beispiellose Distanzierung von der faschistischen Vergangenheit - zustande gekommen durch die Kooperation der CDU-geführten Regierungsfraktionen mit der Linken.

Dass dies eigentlich keiner wolle, versicherten sich Linke und CDU am Freitag im Landtag wortreich, als sie die Nachwehen der Thüringen-Wahl im Plenum diskutierten. In Thüringen hatte unter anderem die strikte Weigerung der CDU, einen Ministerpräsidenten der Linken zu wählen, die Regierungsbildung verhindert und ein politisches Chaos ausgelöst. In Sachsen-Anhalt zeigen Sozialisten und Konservative nun, dass es auch anders geht. Die CDU unterstützte die NS-Klausel 37a, die Linke trug dafür die Verankerung der Schuldenbremse in der Landesverfassung mit, eine der weiteren Änderungen in der Parlamentsreform.

Außergewöhnlich ist Paragraf 37a auch, weil ausgerechnet Sachsen-Anhalt ihn zustande gebracht hat. Das Land, in dem der damalige Rechtsaußen der AfD, André Poggenburg, schon 2016 fast jede vierte Stimme bei der Landtagswahl bekam. Das Land, in dem Ausreißer der CDU immer wieder mit der AfD liebäugeln. Nicht zuletzt aber auch das Land, in dem ein rechtsextremer Terrorist an Jom Kippur eine Synagoge zu stürmen versuchte und anschließend zwei Menschen ermordete. Eine Woche nach dem rassistischen Anschlag von Hanau verpflichtet dieses Land sich und seine Bürger zum Antifaschismus und setzt damit ein deutliches Zeichen.

Einzige Ausnahme für den überparteilichen Konsens des Antifaschismus - nicht nur bei der Debatte über die Parlamentsreform - war die AfD. Ob beim Artikel 37a, oder auch beim Gedenken an die Opfer von Hanau oder einer Debatte zum Gedenken am 8. Mai: Zu mehr als einem „Ja-aber“ konnten sich die Rechtsnationalen in den wichtigen Debatten und Redebeiträgen im Landtag nicht durchringen. Ja, Rechtsextremismus sei schlecht, aber Linksextremismus auch. Ja, der Täter von Hanau sei rechtsextrem, aber irre sei er auch. Ja, die Befreiung vom Nationalsozialismus war gut, aber der 8. Mai sei es für viele Deutsche nicht gewesen, hieß es da.

Die Unentschlossenheit der AfD hebt sich deutlich vom Konsens der anderen Parteien ab. Dabei ist der Magdeburger Landtag mit seinen teils lauten, manchmal beleidigenden Debatten normalerweise kaum geeignet, den Glauben an konsensfähigen Parlamentarismus zu stärken. Oft können es nicht einmal die Regierungsfraktionen unterlassen, sich im Hohen Haus gegenseitig anzugiften. Doch in dieser Sitzungswoche war das anders. Denn in der Antwort auf die „Mutter aller politischen Fragen“ der bundesrepublikanischen Demokratie - dem Verhältnis zur Nazi-Vergangenheit Deutschlands und der Verhinderung einer solchen Zukunft - agierten CDU, Linke, SPD und Grüne würdevoll und einig, wie eine große, antifaschistische Fraktion.

(dpa)
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