Corona-Weihnacht zwingt Kirchen zur Kreativität: Viele Gemeinden in NRW haben sich etwas einfallen lassen Neue Rituale gegen alte Traditionen

DÜSSELDORF · . Normalerweise sind die Kirchen an Heiligabend überfüllt. Die Leute drängen sich in den Gängen, viele singen aus Leibeskräften Weihnachtslieder mit. All das ist im Corona-Jahr unmöglich. Gleichzeitig wissen die Kirchen, dass sie gerade in Krisenzeiten gefragt sind.

 In den meisten Kirchen dürfte es an Heiligabend deutlich mehr Gottesdienste geben als sonst, sie werden aber kürzer ausfallen.

In den meisten Kirchen dürfte es an Heiligabend deutlich mehr Gottesdienste geben als sonst, sie werden aber kürzer ausfallen.

Foto: dpa/Malte Christians

Sie müssen also kreativ werden.

In den meisten Kirchen dürfte es an Heiligabend deutlich mehr Gottesdienste geben als sonst, sie werden aber kürzer ausfallen. Der Besuch wird häufig über ein Online-Ticketsystem geregelt. Zu dicht hintereinander dürfen die Gottesdienste aber auch nicht gestaffelt sein: Zwischendurch muss immer wieder desinfiziert und gelüftet werden.

Daneben werden vielerorts Gottesdienste unter freiem Himmel abgehalten. Der evangelische Präses Manfred Rekowski will an Heiligabend sogar einen Gottesdienst auf einem Wuppertaler Friedhof zelebrieren. In Bensberg in Bergisch Gladbach sind Kurzgottesdienste mit lebendiger Krippe geplant.

Der katholische Pastoralverbund Balve-Hönnetal im Sauerland bereitet auf dem Kirchplatz einen Stationen-Gottesdienst vor: Dabei geht man von Hütte zu Hütte, an der einen wird gesungen, an der nächsten etwas vorgelesen. In einem „Mausoleum“ können symbolisch Sorgen abgelegt werden. Auch an eine Verpflegungsstation ist gedacht.

Ein ganz spezielles Angebot hat die Heilig-Kreuz-Gemeinde in Dülmen im Münsterland entwickelt: „Hirtengänge“ zu Bauernhöfen. Fünf Höfe beteiligen sich. „Das ist ein Angebot für Familien mit kleinen Kindern, die sonst zur Krippenfeier kommen würden“, erläutert Pastoralreferentin Lisa Scheffer. „Es wird ein kurzer Gang von einer Wiese aus gestartet, sozusagen wie es die Hirten damals erlebt haben. Es gibt dann unterwegs ein bis zwei Stationen, wo gesungen oder ein Gebet gesprochen wird. In der Scheune des jeweiligen Hofes wird die Weihnachtsgeschichte gelesen.“ Mit einem Friedenslicht in der Hand gehen die Familien wieder nach Hause.

Die Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld laden an Heiligabend ins Fußballstadion ein. In der SchücoArena, wo sonst Arminia Bielefeld spielt, predigt dann die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus. Für den Gottesdienst unter freiem Himmel werde ein umfassendes Hygienekonzept erarbeitet. In dem Stadion, das in Nicht-Corona-Zeiten 26 500 Zuschauer fasst, soll jetzt nur einer von zehn Plätzen besetzt werden. Sollten wegen steigender Inzidenzzahlen keine Zuschauer zugelassen werden, wird der Gottesdienst auf www.youtube.com/BethelVision ins Internet gestreamt. Auf katholischer Seite soll auf die ursprünglich auch dort angedachten Großgottesdienste in Stadien verzichtet werden. Allein die gleichzeitige Anreise vieler Besucher hätte ein zu großes Problem dargestellt, meint Antonius Hamers vom Katholischen Büro NRW.

Die Anbindung an die Heimatgemeinde oder einfach an die nächstgelegene Kirche dürfte in diesem Jahr weniger selbstverständlich sein als sonst. Vermutlich werden sich diesmal viele Menschen aus den unterschiedlichen Konzepten das für sie passende heraussuchen, sagt die Religionssoziologin Anna Neumaier vom Zentrum für angewandte Pastoralforschung der Ruhr-Universität Bochum. „Will ich lieber in die Halle? Will ich lieber Open-Air? Oder will ich lieber zu Hause bleiben und mir einen Gottesdienst im Internet anschauen?“

Eine große Frage ist, wie sich die vielen Menschen verhalten werden, die nur an Weihnachten in die Kirche gehen und dementsprechend keine Anbindung an eine Gemeinde haben. Wenn sie sich entscheiden sollten, dieses Jahr einfach mal auszusetzen, könnte das auf ihre endgültige Abnabelung hinauslaufen. „Vielleicht schalten sie dann dieses Jahr einfach den „Kleinen Lord“ im Fernsehen an und denken sich: „Ach, das ist auch ganz nett.““, sagt Neumaier. „Wenn Familien dann erstmal ein neues Ritual entwickeln, ist die alte Tradition in Gefahr. Insofern ist es interessant zu sehen, ob sich in den nächsten Jahren Spätfolgen zeigen.“

Wieder einmal beschleunigt Corona auf diese Weise einen sowieso schon existierenden Trend: Der Standard-Sonntagsgottesdienst hat seit langem immer weniger Zulauf. Wenn überhaupt, sind kreative und auf einzelne Zielgruppen zugeschnittene spirituelle Angebote gefragt. Dieses Jahr müssen die Kirchen an Weihnachten beweisen, dass sie sich auf neue Situationen einstellen können.

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