Rechtsextremismus Dortmund, Chemnitz und die Folgen

Dortmund · Der Aufmarsch der Rechtsextremen von Dortmund am vergangenen Fragen erschreckt und wirft viele Fragen auf.

Eine Aufnahme von den Ausschreitungen der Rechtsextremen.

Eine Aufnahme von den Ausschreitungen der Rechtsextremen.

Foto: dpa/Robert Rutkowski

Nach zwei Demonstrationszügen von Rechtsextremen in Dortmund hat die Polizei um Verständnis für die Zurückhaltung der eingesetzten Beamten geworben. Rechtsextreme seien meist sehr genau informiert, welche Parolen sie skandieren könnten und welche Gesten gerade noch als straffrei gelten, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende der GdP, Heiko Müller, am Montag.

Hintergrund: Am Freitagabend waren Demonstrationszüge von bis zu hundert Rechtsextremisten durch zwei Dortmunder Vororte, Marten und Dortstfeld, gezogen. Dabei skandierten die Teilnehmer offen antisemitische Parolen. Der Kölner Stadtanzeiger zeichnete Szenen nach, die sich dort abspielten: „Ein Mann steht beim Protestmarsch in Dortmund auf einem Dach, eingehüllt von Rauch und abgefackelten Pyros, in der Rechten wedelt er mit einer Deutschen Reichsflagge und skandierte Nazi-Parolen. Unten huldigt eine Truppe von Anhängern und grölte unter anderem: „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“, heißt es dort.

Was die Sache noch verschlimmerte, war die offensichtliche Passivität der Polizei, die nicht einschritt. Weil sie, wegen Verpflichtungen im Hambacher Forst, völlig unterbesetzt gewesen sei? Ein Vorwurf, dem Innenminister Herbert Reul im Interview mit dem WDR entgegentrat.

„Beängstigende Zustände in Dortmund“

Der Christdemokrat zog die Kritik auch auf sich, weil er zeitgleich mit den Aufmärschen bei einer Razzia gegen arabische Clans ebenfalls in Dortmund seine „Null-Toleranz-Strategie“ propagiert hatte. Trotz offensichtlich antisemitischer Rufe wie „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“ oder „Nationaler Sozialismus - Jetzt!“, die erschreckend an die Vorkommnisse in Köthen und Chemnitz erinnert hätten, seien die Demonstrationen nicht aufgelöst worden, empörten sich die SPD-Landtagspolitiker Nadja Lüders, Sven Wolf und Hartmut Ganzke (alle SPD) in einem Schreiben an Reul. Dort ist die Rede von „beängstigenden Zuständen in der Stadt, während weit und breit keine Polizei zu sehen gewesen sei“.

Die SPD-Abgeordneten: „Wir fragen uns, ob so die Null-Toleranz-Strategie der Landesregierung gegenüber dem Rechtsextremismus in unserem Land aussieht. Wie konnte es zu einer solchen Fehleinschätzung der Lage kommen?“

Der so Angegriffene kündigte eine penible Aufarbeitung des Polizei-Einsatzes an. Gegenüber der "Rheinischen Post" sagte er: "Es ist für mich persönlich unerträglich, dass 70 Jahre nach Ende des dunkelsten Kapitels unserer Geschichte Neo-Nazis durch unsere Städte ziehen."

Dennoch seien solche Demos offenbar von der Versammlungsfreiheit gedeckt. Die Gerichte hätten gegen die Vorbehalte der Polizei entschieden, dass diese Ewiggestrigen sich sogar den Weg frei aussuchen durften. "Selbst die widerwärtigen antisemitischen Parolen dieser rechtsradikalen Hetzer sind möglicherweise durch die Meinungsfreiheit gedeckt", sagte Reul. "Das kann ich nicht verstehen, aber man muss es dann in einem Rechtsstaat akzeptieren."

Polizei wirbt für Verständnis

Dortmunds Polizei kündigte an, den Einsatz vom Wochenende nochmals unter die Lupe zu nehmen. Der Anspruch der Dortmunder Polizei sei es, den Rechtsextremismus mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen, betonte sie am Sonntag.

Außerdem warb die Polizei um Verständnis für ihr Verhalten: „Die Polizei hat nur wenig Handhabe, um einzugreifen“, sagte GdP-Landesvorsitzender Heiko Müller. „Die Rechten gehen regelmäßig an die Schmerzgrenze und kaum darüber hinaus. Das ist für Polizisten oft schwer zu ertragen, aber wir leben in einem Staat, in dem die Meinungsäußerung einen hohen Stellenwert hat.“ Gerichte schränkten die Möglichkeiten der Polizei ein, kippten Auflagen für Demonstrationszüge und legten das Recht auf Demonstrationsfreiheit weit aus. „Diese geforderten Auflagen durch die Polizei sind allerdings nicht aus der Luft gegriffen“, kritisierte Müller.

SPD-Abgeordnete fordern Antworten

Die SPD-Abgeordneten wollen jetzt folgende Fragen beantwortet wissen: Welche Einschätzung hatte die Polizei im Vorfeld der Aufmärsche hinsichtlich der Anzahl und der Gewaltbereitschaft der Teilnehmer? Wie war im Vorfeld der Aufmärsche die Einsatzplanung insbesondere in Hinblick auf das Kräfteverhältnis? Wie konnte es zu einer solchen Fehleinschätzung der Lage kommen? Warum hat der Minister sich hierbei nicht auf die bekanntlich hohe Kompetenz des Staatsschutzes in Dortmund verlassen? Und zuletzt: Wie lautet die Lageeinschätzung bezüglich weiterer für Dortmund angemeldeter Veranstaltungen von Rechtsextremen?

Warum ausgerechnet Dortmund?

Eine weitere Frage versucht der Kölner Stadtanzeiger zu beantworten: Warum gerade Dortmund? Und: Woher kommen die Rechtsextremen, die in der BVB-Stadt gehetzt haben? Der Ausländeranteil in Dorstfeld liegt bei 18 Prozent, in Marten bei 16,4 Prozent - das ist einmal leicht über, einmal leicht unter im Landesvergleich hohen Dortmunder Anteil (17,7 Prozent). In der Stadt sei der harte NRW-Kern der Splitterpartei „Die Rechte“ beheimatet. Die Sonderkommission „Rechts“ beziffere die Dortmunder Hardcore-Gruppe auf 25 bis 35 Personen, die aber schnell weitere 70 bis 100 Mitstreiter aktivieren könne. Verfassungsschützern gelte „Die Rechte“ als Sammelbecken aufgelöster oder verbotener brauner Kameradschaften; der Landesverband NRW firmiere mit rund 300 Mitgliedern als stärkste Gruppierung in Deutschland. Zur Parteispitze gehörten Dennis Giemsch, Informatikstudent und Ratsmitglied der schon mal die Stadt aufgefordert habe, den Wohnort aller Juden zu nennen, sowie Christoph Drewer, der wegen verschiedener Körperverletzungsdelikte verurteilt worden und für seine Hetz-Reden berüchtigt sei.

Als am 15. September Gegner der Nazi-Truppe ein Familienfest für Toleranz und Verständigung in Dorstfeld gefeiert hätten, seien rechtsextreme Störer aufgetreten. Neun seien von der Polizei festgenommen worden. Die Kundgebungen vom Freitag seien als Antwort auf diese „Polizeiwillkür“ inszeniert worden. (kup/dpa/Red)

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