Zweitjobs: Computer und Spüle im Wechsel

Weil bei vielen Gladbachern das Geld nicht reicht, arbeiten sie bis tief in die Nacht.

Mönchengladbach. Die Dienstkleidung hat der Gladbacher Markus M. (32) schon zurecht gelegt, denn die darf er nicht vergessen: eine weiße Schürze und einen weißen Kittel. Er muss sich beeilen, denn um acht Uhr soll er ausgeschlafen im Büro in Düsseldorf sitzen - obwohl er erst um 2 Uhr nachts von der Arbeit nach Hause gekommen ist. Die weiße Kleidung wird er jetzt auch noch nicht brauchen, sondern erst später. Später, das heißt nach seiner eigentlichen Arbeit als Versicherungskaufmann.

"Nine to Five", der klassische Bürotag von neun bis 17 Uhr, ist für Markus M. schon lange Illusion. Sein Arbeitstag hat sich mit einem Vollzeit- und einem Nebenjob bis 1 Uhr nachts ausgedehnt wie ein Hefeteig.

Eine Situation, die längst nicht nur auf ihn zutrifft. Was in den USA schon sehr verbreitet ist, greift auch in Deutschland um sich: Wenn eine Vollzeitstelle nicht reicht, stocken viele ihr schmales Einkommen mit einem Zweit- oder Drittjob auf. "Es ist schon ein Trend zum Zweitjob zu erkennen. Der Grund ist, dass die Reallöhne in den letzten Jahren gesunken sind", sagt Professor Gerhard Bäcker, Soziologe an der Uni Duisburg-Essen.

Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bestätigt, dass in den vergangenen zwei Jahren der Anteil der Mehrfachbeschäftigten unter den Arbeitnehmern von 2,9 auf 4,7 Prozent (2,1 Millionen) gestiegen ist. Mehrfachbeschäftigung heißt dabei, dass sich Krankenpfleger jenseits ihrer Schicht in die ambulante Pflege einteilen lassen, dass junge Handwerker abends noch weiter malern und hämmern. Dass Erzieherinnen privat noch Kinder betreuen und Friseurinnen am Wochenende fürs eigene Portmonee Haare schneiden ist oft die Regel. Vor allem, dass sie das meist schwarz machen.

"Trotz tariflicher Bezahlung könnten sich viele Menschen ohne Zweitjob einfach nicht leisten, was für die Mittelschicht so selbstverständlich ist: das Auto und der Urlaub", sagt Klaus Glier von Verdi. Gerade erst hat er einen Streik der Real-Mitarbeiter organisiert.

Der Wecker von Markus M. klingelt. Gut 40 Minuten später sitzt er im Zug nach Düsseldorf. Das Auto lässt er schon lange stehen. "Der Sprit wäre viel zu teuer", sagt er. Pünktlich ist er im Büro, nimmt die ersten Anrufe entgegen, bearbeitet neue Versicherungsverträge schreibt Schadensmeldungen. Wenn er seinen Schreibtisch um 16 Uhr verlässt, muss er sich beeilen. Denn um 18 Uhr beginnt seine Schicht. In einem Gladbacher Café.

"Da bin ich Spülhelfer", gesteht Markus M. Seit seine Freundin ihn verlassen hat, muss er die Kredite alleine abstottern - denn alle laufen auf seinen Namen. "Ich war innerhalb von drei Monaten so tief im Dispo, dass ich mit meinem regulären Job keine Chance mehr gehabt hätte", sagt er und hat immer Angst, dass sein Chef eines Tages etwas von der unversteuerten Nachtarbeit erfährt. Darum auch die Spülküche, "denn hier sieht mich keiner".

Auch Jenny S. (24) weiß kaum noch, wie sie über die Runden kommen soll. "Ich habe ungeheure Existenzängste", sagt sie. Sie arbeitet bei Real an der Kasse. Ihre Nebenjobs erlauben ihr immerhin, ihrer Tochter etwas zum Geburtstag und zu Weihnachten zu schenken. "Viele mussten Einkommenseinbußen in Kauf nehmen, haben aber trotzdem Zahlungsverpflichtungen oder möchten ihren gewohnten Lebensstandard halten", erklärt Glier.

Zahlen Laut Arbeitsagentur sind in Gladbach 6700 Menschen als Nebenjobber gemeldet. Sie dürfen nicht mehr als 400 Euro im Monat verdienen. Die Dunkelziffer gilt als extrem hoch.

400-Euro-Job Wer nicht mehr als 400 Euro mit seinem Nebenjob verdient, muss dafür keine Abgaben zahlen. Der Arbeitgeber muss den Nebenjobber jedoch melden und Sozialabgaben zahlen.

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