Wie Briefträger lernen, nichtzum „Beutetier“ zu werden

Azubis aus Gladbach und Viersen werden im richtigen Umgang mit bissigen Hunden geschult.

Wie Briefträger lernen, nichtzum „Beutetier“ zu werden
Foto: Ilgner

Mönchengladbach/Viersen. Aus Kubas Schnauze tropft der Geifer. Sein ganzer Körper ist in Unruhe, er winselt laut, seine Augen fixieren die Beute. Dann, von der Leine gelassen, schießt der siebenjährige Belgische Schäferhund los wie eine Rakete — und schlägt ebenso wuchtig auf dem Kissen ein, das der junge Mann in Händen hält. Den Postzusteller-Azubi drückt es durch den Aufprall gut anderthalb Meter nach hinten. Durch seine 17 Kolleginnen und Kollegen aus Mönchengladbach und Viersen geht ein Raunen. „Aus!“, ruft der Azubi — es bewirkt nichts.

Britta Töllner, Post-Sprecherin

Michael Pfaff weiß, warum. „Zu schrill und zu laut“, sagt der ehemalige Lehrtrainer im Diensthundewesen. „Der Hund ist ja nicht taub. Und eine Stimme, die sich überschlägt, erkennt der Hund sofort als Zeichen von Hilflosigkeit.“

Welche Körpersprache ist die richtige, wenn ein Hund auf mich zu läuft? Was, wenn er meinen Arm in der Schnauze hat? Und was, wenn der Hund den Befehl „Aus“ gar nicht kennt? Auf dem Gelände des Post-Briefzentrums in Güdderath erhalten die Auszubildenden Antworten auf diese und andere Fragen, sie lernen, Hunde zu lesen. Und beispielsweise zu wissen, dass ein Schwanzwedeln nicht unbedingt Freundlichkeit, sondern definitiv Erregung bedeutet, könnte für sie im Laufe ihrer Karriere noch wichtig werden. „Rund 1700 unserer Zusteller werden pro Jahr von Hunden gebissen“, sagt Post-Sprecherin Britta Töllner. „In den 90ern war die Zahl doppelt so hoch. Durch die regelmäßigen Schulungen gelingt es, sie konstant auf diesem Level zu halten.“

Zuerst werden die angehenden Zusteller — die sich seit Anfang des Jahres jeweils zu zweit einen Bezirk teilen und somit auch auf Hunde treffen — mit Bakuma konfrontiert. Auf die einjährige Belgische Schäferhundin trifft der Spruch „Der will doch nur spielen“ voll und ganz zu, denn sie kennt es gar nicht anders. Wie 99 Prozent aller Hunde wird sie lediglich defensiv aggressiv — und das auch nur dann, wenn sie einem Verhalten begegnet, das sie nicht kennt.

Während seine Frau Monika, Hundetrainerin, den Hund an der Leine hält, läuft Michael Pfaff in unnatürlicher Pose vor ihm auf und ab. Der Hund reagiert entsprechend: Er bellt, ist angespannt. Wichtige Regel also: Eine normale Körpersprache an den Tag legen. Und wenn das Tier auf einen zugeschossen kommt, ihm „Beute“ geben: die Tasche oder die Mütze, dabei den Arm dahinter zurückhalten. „Denn irgendwo muss der Hund mit seinem Druck hin“, sagt Pfaff.

Und wenn er doch den Arm erwischt? „Möglichst still halten — bei hektischen Bewegungen glaubt er, dass das Beutetier noch lebt“, vermutet Azubi Kristina Lutterberg — und liegt damit goldrichtig. Weitere Goldene Regel: Dem Hund nie in die Augen schauen, das könnte er als Provokation auffassen. Das könnte zum Beispiel beim sechsjährigen Mowgli passieren, der, wenn er kläffend auf den Hinterbeinen steht, schon deutlich aggressiver daherkommt als Bakuma. „Beschwichtigen, Stress rausnehmen, sich distanzieren“, nennt Pfaff weitere wichtige Hinweise. Und das Wort ,Nein’ kennt jeder Hund, auch wenn er ,Aus’ nicht kennt. Leckerli mitbringen sei nicht so clever: „Dann springt der Hund einen immer an.“

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