Wanderritt durch Deutschland Sechs Monate auf dem Rücken eines Pferdes

Mönchengladbach. · Jürgen Vorwerk hat seinen Job gekündigt und ist 3000 Kilometer durch Deutschland geritten. Jetzt ist er zurück in Mönchengladbach.

 Jürgen Vorwerk und Chex.

Jürgen Vorwerk und Chex.

Foto: Ilgner Detlef (ilg)

Jürgen Vorwerk und „Tequila Smokin Chex“ haben im vergangenen Jahr einiges erlebt. 3001 Kilometer über Stock und Stein, von Norden nach Süden, und das innerhalb von sechs Monaten. Mit Tequila Smokin Chex – kurz Chex – ist nicht etwa eine edle Spirituose mit Rauchnote gemeint. Nein. Der Wegbegleiter des Mönchengladbachers hat vier lange durchtrainierte Beine, ein dunkelbraunes Fell und zarte Nüstern. Das American Quarter Horse ist seit zwei Jahren an der Seite des Reiters.

Kennengelernt haben sich Vorwerk und Chex in Rheinland-Pfalz. Nach dem Studium an der Hochschule Niederrhein zog Vorwerk in das benachbarte Bundesland. 20 Jahre lebte und arbeitete der Diplom-Ingenieur dort. Von 6 bis 17 Uhr saß er im Büro, anschließend arbeitete er bis 22 Uhr auf dem eigenen Hof. Bis plötzlich die Idee zu einem Wanderritt quer durch Deutschland kam und Vorwerk seinen Job kündigte. „Es war eine jetzt-oder-nie-Entscheidung“, erinnert er sich.

Bei anfänglich widrigen Bedingungen ging es mit Schnee über die Eifel zum Niederrhein, wo das Zweiergespann mit Plakaten empfangen wurde. Von dort aus ritten sie weiter ins Münsterland bis zur Nordsee nach Cuxhaven, um sich einen Traum zu erfüllen: Einmal mit Pferd ans Meer. Das Watt war flach und fest – ideal für den Vierbeiner. Besonders die Weite habe er genossen, sagt Vorwerk: „So weit kann man sonst nur am Niederrhein sehen.“ Er reitet seit er elf Jahre alt ist. Es war sein erster Wanderritt dieser Art. Anfangs habe er noch Bedenken wegen des Alters seines Wallachs gehabt: „Mit 21 Jahren ist Chex ein Senior und eher bereit für die Rente als für einen 3000-Kilometer-Ritt.“ Doch Vorwerk scheint auf das richtige Pferd gesetzt zu haben. Chex sei während dieser abenteuerlichen Zeit eine „Lebensversicherung“ für den 52-Jährigen gewesen. Immerzu entspannt, gemütlich und unaufgeregt.

Der sechs-Monats-Ausflug war als Selbstfindungs-Ritt geplant. Doch dafür war Vorwerks Kopf nicht frei gewesen. Zu sehr war der Techniker mit der Planung seines Abenteuers beschäftigt. „Ohne Handy hätte ich den Ritt aufgeben müssen“, sagt Vorwerk rückblickend. Darauf waren hilfreiche Planungs-Apps, das Navigationssystem und Soziale Netzwerke, über die er ein Online-Tagebuch führte, installiert.

Entlang des ehemaligen Grenzstreifens zur DDR überkam den Mönchengladbacher ein Motivationstief. Mit dem Erreichen der 1000-Meilen-Marke am sogenannten „Grünen Band“ galt Vorwerk offiziell als „Weitreiter“. „Aufgeben oder weitermachen?“, fragte er sich. In dieser Phase begann der 52-Jährige seinen Kopf auszuschalten und sich an den Dingen zu freuen, die er für selbstverständlich genommen hatte: Chex. „Wir sind über Baumstämme geklettert, Züge sind einen Meter vor unserer Nase vorbei geballert und Trecker überholten uns mit 50 km/h – all das hat ihn nicht aus der Ruhe gebracht“, ist Vorwerk immer noch erstaunt.

Übernachtet hat Vorwerk
häufig auf der Isomatte im Zelt

Der Ritt ging also weiter. Ab Ulm sei Vorwerk einfach drauflosgeritten, ohne vorab Schlafplätze zu organisieren. Die Nacht durchreiten musste er aber nie. Oftmals wurde das ungewöhnliche Paar von interessierten Leuten eingeladen. Dann schlug Vorwerk sein Zelt auf, packte Schlafsack und Isomatte aus und machte es sich neben seinem Pferd auf einer Wiese bequem.

Über trockene Felder im Hitzesommer 2019 erreichten sie schließlich den Bodensee. Innerhalb von 175 Tagen haben Ross und Reiter an 136 verschiedenen Stationen gehalten. Wegen der schweren Last für das Pferd bewegten sie sich ausschließlich gemütlich bei etwa dreieinhalb Kilometer pro Stunde vorwärts. Für diese Leistung hat Vorwerk nach seiner Reise das goldene Wanderreiter Abzeichen von der Vereinigung der Freizeitreiter und -fahrer in Deutschland verliehen bekommen.

Zurück in Gladbach denkt Vorwerk nicht an den nächsten Ritt: „Ich bin noch in der Völlephase – wie nach einem fulminanten Essen.“ Besonders erfreut er sich über die neu gefundene Lebensqualität. „Vor dem Ritt habe ich gelebt um zu arbeiten. Jetzt arbeite ich um zu leben“, sagt Vorwerk. Anstatt eines 40-Stunden-Jobs arbeitet er nun selbstständig. Sein größter Luxus: Ohne Wecker in den Tag zu starten.

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