Missbrauchsopfer leiden vor Gericht zum zweiten Mal

Heute beginnt ein großer Missbrauchsprozess. Weil der Täter sein Schweigerecht nutzt, müssen die Opfer aussagen.

Kindesmissbrauch. Die Tat ist an sich schon unfassbar schlimm, „der Eintritt in ein Strafverfahren ist aber auch eine große Belastung für die jungen Opfer“, sagt Sandra Gottschalk, Diplom-Sozialwissenschaftlerin bei Zörnröschen, dem Verein gegen sexuellen Missbrauch von Mädchen und Jungen. Deshalb begleiten Gottschalk und ihre Kollegin Reinhild Beermann Kinder und Jugendliche bei Missbrauchsprozessen. Das wird auch heute am Mönchengladbacher Landgericht der Fall sein, wenn sich ein 45-Jähriger wegen Kindesmissbrauchs in zehn Fällen verantworten muss.

Sandra Gottschalk, Diplom-Sozialwissenschaftlerin

Wird nach einem sexuellen Kindesmissbrauch ein Strafverfahren eingeleitet, suchen Eltern und Bezugspersonen, die möglichst großen Schutz für die Kinder wollen, oft den Verein mit Sitz an der Eickener Straße auf. Zornröschen bietet seit vielen Jahren für kindliche und jugendliche Opfer eine Prozessbegleitung an. Genau das wird ab dem 1. Januar 2017 Niederschlag in der Strafprozessordnung finden: Dann haben junge Missbrauchsopfer einen Anspruch auf eine qualifizierte Begleitperson. Sie sorgt für die psychosoziale Betreuung des Kindes und ist unabhängig vom Nebenklagevertreter, der für juristischen Beistand sorgt. „Wir erklären Kindern, was in einem Strafverfahren so alles passiert“, sagt Sandra Gottschalk. Und Reinhild Beermann fügt an: „Viele Kinder kennen Gerichtsverfahren ja nur aus den Gerichtsshows im Fernsehen, und die haben wenig mit der Realität zu tun.“ Die jungen Opferzeugen besuchen mit den Zornröschen-Mitarbeiterinnen vor dem Prozesstermin das Gerichtsgebäude. Dort wird ihnen erklärt, wer wo sitzt, und was zum Beispiel ein Staatsanwalt macht. „Wenn Kinder die Situation einschätzen können, werden sie in der Regel viel selbstbewusster“, weiß Sandra Gottschalk. Sind sie unsicher, könnte das ein Kontrollverlust bedeuten und im schlechtesten Fall auch negative Auswirkungen auf die Aussagefähigkeit der Kinder haben.

Und auch diese Frage versuchen die Fachbegleiterinnen von Zornröschen im Vorfeld der Gerichtsverhandlung zu klären: Ist das Kind stark genug, um seinem Peiniger gegenüber zu treten? In der Prozessordnung sei ziemlich genau geregelt, wie mit jungen Zeugen umzugehen ist, die ein berechtigtes Schutzinteresse haben“, sagt Vereinsvorstand und Rechtsanwalt Michael Heinemann. So könne der Vorsitzende Richter beispielsweise das kindliche Opfer alleine anhören, die Öffentlichkeit könne ausgeschlossen werden, und es bestehe auch die Möglichkeit, dass das Kind in einem separaten Raum gehört wird und seine Aussage in den Gerichtssaal per Video übertragen wird.

Die psychosozialen Begleiterinnen sorgen auch dafür, dass die kindlichen und jugendlichen Opfer dem Täter nicht vorab im Gerichtsgebäude begegnen. Und — im Fall, dass die Kinder doch in Anwesenheit des Angeklagten aussagen — setzen sie sich zwischen Opfer und Tatverdächtigen, damit kein direkter Blickkontakt zwischen den beiden besteht. Bei der Prozessbegleitung von Zornröschen gehe es nicht darum, mit den Opferzeugen über das Tatgeschehen zu sprechen oder inhaltlich Einfluss zu nehmen, sagt Reinhild Beermann. Wenn ein Kind vorher bei einer Zornröschen-Mitarbeiterin in einer Fallberatung war, dort von seinen Erlebnissen berichtet hat und sich dann zu einer Anzeige entschließt, übernimmt eine andere Kollegin die Begleitung beim Prozess.

www.zornroeschen.de

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