Fanzug: Täter hätte schon in Haft sein können

Akten wurden nicht schnell genug überstellt. Ein Gerichtssprecher räumt ein, dass falsche Prioritäten gesetzt worden seien.

Der Mann, der eine 19-Jährige in einem Sonderzug voller Borussia-Fans vergewaltigt haben soll, hätte schon viel früher im Gefängnis sitzen können. Ein Haftbefehl gegen ihn wegen einer bereits im Februar 2015 begangenen Vergewaltigung konnte nicht vollstreckt werden, weil die Akten des Verfahrens, das durch drei Instanzen ging, nicht zügig an die zuständige Staatsanwaltschaft weitergeleitet wurden. Das erklärte gestern ein Sprecher des Landgerichts. Hätte der Vorfall im Fanzug verhindert werden können?

Es sei zunächst eine gelungene Reise nach München gewesen, erzählt Rainer Baumer. Drei Monate lang hatte er alles organisiert, „minuziös geplant“, wie der Borussia-Fan aus Jüchen sagt. Zum vierten Mal stellte er am vergangenen Wochenende einen Sonderzug für rund 750 Gladbacher Fans auf die Beine, als Privatmann sozusagen. 13 Abteilwagen plus zwei sogenannte Sambawagen für Partys hatten sich am frühen Samstagmorgen in Mönchengladbach auf den Weg gemacht. „Wir verkaufen 0,4 Liter Bier für 2,50 Euro. Wo bekommt man so etwas noch?“, sagt Baumer, um zu untermauern, dass das gemeinsame Erlebnis als Fanszene bei den Sonderzugfahrten im Mittelpunkt steht — nicht der Profit. Die Bundespolizei in München sei geradezu erstaunt gewesen, wie friedlich und zivilisiert sich die Borussia-Fans verhalten hätten, sagt Baumer. Der Vorfall, der Borussias Fanszene und die Vereinsverantwortlichen entsetzt hat, ereignete sich auf der Rückfahrt mitten in der Nacht.

Ein 30-jähriger, mehrfach vorbestrafter Mönchengladbacher soll die 19-Jährige auf der Toilette vergewaltigt haben. Von einem „Tabubruch“ schrieb der FPMG Supporters Club in einer Stellungnahme. „Das ist nicht nur nicht in Einklang zu bringen mit unserer Vereinskultur, das ist das Gegenteil von Kultur“, sagte Borussias Präsident Rolf Königs gleich zu Beginn der Mitgliederversammlung am Montagabend.

Der Tatverdächtige sitzt seit Montag im Gefängnis. Er hatte sich in der Justizvollzugsanstalt Moers-Kapellen gemeldet, um eine vorangegangene Haftstrafe wegen Körperverletzung anzutreten. Das Urteil in diesem Fall war zunächst zur Bewährung ausgesetzt worden, wie Landgerichtssprecher Fabian Novara sagt. Doch als 2015 ein weiterer Vorwurf wegen Vergewaltigung, Zeigen des Hitlergrußes und weitere Körperverletzungen hinzukamen, wurde die Bewährung widerrufen. Der 30-Jährige musste ins Gefängnis und bekam eine Frist gesetzt. „Er ging nicht am ersten Tag ins Gefängnis, reizte den gegebenen Zeitraum aber auch nicht aus“, sagt Polizeisprecher Wolfgang Röthgens.

Gestern hat die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach die Vollstreckung des Haftbefehls wegen Vergewaltigung gegen den 30-Jährigen eingeleitet. „Nach vorläufiger Bewertung dieser Abläufe wurden bei der Bearbeitung der Akte durch das Amtsgericht falsche Prioritäten gesetzt“, erklärt der Landgerichtssprecher. Dort waren die Akten nach einer endgültigen Entscheidung des Oberlandesgerichts wieder gelandet. Der 30-Jährige hatte die Vergewaltigung immer geleugnet und deshalb das Urteil angefochten. In der Akte hätten sich, als sie im November 2017 beim Amtsgericht landete eine Vielzahl von Kostenanträgen der am Verfahren beteiligten Anwälte angesammelt, die aufgrund des laufenden Hauptsacheverfahrens bis dahin nicht bearbeitet werden konnten. Zudem sei dem Landschaftsverband Rheinland Akteneinsicht gewährt worden, weil die seinerzeit Geschädigte der Vergewaltigung dort Opferentschädigungsansprüche geltend gemacht hatte, berichtet Novara. Im Amtsgericht seien zuerst diese Aufgaben erledigt worden. „Aus diesem Grund ist die Verfahrensakte bis zur Anforderung durch die Staatsanwaltschaft am 17. April beim Amtsgericht geblieben“, sagt der Sprecher.

Fanzug-Organisator Baumer hat aus dem verhängnisvollen Vorfall bei der Münchenfahrt gelernt. Er will bei den nächsten Fahrten noch mehr Ordner einsetzen, „um möglichst auch 95 Prozent der Zeit die Toilettenbereiche kontrollieren zu können“. Was am Wochenende passiert ist, soll ein Einzelfall bleiben.

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