Falken-Jungen bringen Rheydt aus dem Takt

Der Kirchturm am Marktplatz dient derzeit drei Küken als Kinderstube. Weil die Falken jedoch verspätet schlüpften, müssen Turmführungen ausfallen. Auch die defekte Kirchuhr bleibt still.

Falken-Jungen bringen Rheydt aus dem Takt
Foto: Bernd Bäumer/Gabi Peters

„Die tickt nicht mehr richtig.“ Den Satz haben die Rheydter in letzter Zeit oft gehört. Gemeint ist eine der Uhren am Turm der evangelischen Hauptkirche am Marktplatz. Die ist kaputt. Dass sie nicht repariert wird, hat einen guten Grund, oder besser gesagt, gleich drei gute Gründe: Im Kirchturm schlüpften vor etwa vier Wochen drei Wanderfalken-Küken. Alles Jungs. Und die samt Eltern mögen keine menschliche Nähe. Göttliche offenbar schon: Denn während die Tiere den größten Rabatz machen, wenn sich ihnen Menschen nähern, bleiben sie bei Glockengeläut vollkommen ruhig.

Falken-Jungen bringen Rheydt aus dem Takt
Foto: Bernd Bäumer/Gabi Peters

Seit sieben Jahren ist das „Appartement mit Aussicht“ im Rheydter Kirchturm dauervermietet an Wanderfalken. Pfarrer Stephan Dedring freut das ungemein: „Ich war als Jugendlicher als Hobby-Ornithologe mit Listen unterwegs und habe Vögel gezählt“, erzählt er. Ein Wanderfalke, der schnellste Vogel der Welt, sei damals etwas ganz Besonderes gewesen — auch weil es in Deutschland nur noch ganz wenige Exemplare gab. Als NABU-Experte Bernd Bäumer vor Jahren das erste Wanderfalkenpaar in der Nähe des Rheydter Marktes sah und bei der Kirchengemeinde nachfragte, ob er eine Ausflughilfe am Turm anbringen könne, war Dedring sofort einverstanden. Seitdem gibt es im Kirchturm beinahe jedes Jahr eine Niederkunft. Normalerweise sind die Küken beim Turmfest längst flügge, so dass die Turmführungen immer stattfinden konnten. „Dieses Mal fallen sie aus. Wir können die kleinen Vögel nicht stören“, sagt Hanna Masuhr, stellvertretende Vorsitzende des Presbyteriums.

In diesem Jahr legte das Wanderfalken-Paar zweimal Eier. „Aus den ersten schlüpfte kein Tier. Also wurde nachgelegt“, sagt Pfarrer Dedring. Deshalb gibt es um diese Zeit noch Nesthocker im Kirchturm. Wann sie flügge werden, ist noch nicht ganz sicher. Lange könne es nicht mehr dauern, sagt Bernd Bäumer, der die Tiere regelmäßig betreut und die Jungvögel vor wenigen Wochen beringt hat. „Da hat es von den Eltern sehr viel Gekreische gegeben“, sagt Dedring. Die Beringung sei aber notwendig, nicht nur damit der Bestand der Tiere im Blick gehalten werden kann. Anhand der Kennzeichennummern können die Experten die Wandervögel auch wiedererkennen und etwas über ihr Verhalten herausfinden.

Der Rheydter Kirchturm wird zum Beispiel seit Jahren von einem Paar angeflogen, bei dem erst zweimal ein Partner wechselte. Aktuell nistet dort ein Tier aus den Niederlanden und eins aus Deutschland. „Wir tun hier nicht nur etwas für den Naturschutz, sondern auch für die europäische Vereinigung“, sagt Dedring und lacht.

Zurzeit können die Gottesdienstbesucher den tierischen Nachwuchs aus dem Turm nur auf Fotos bewundern. „Im kommenden Jahr soll es eine Live-Übertragung aus dem Nest in den Kirchenraum geben“, sagt Dedring.

Aber erst einmal wird mit Spannung erwartet, wann die aktuellen Jungtiere zu ihren ersten Flugversuche starten werden. „Dann kann es hier wieder aufregend werden“, sagt der Pfarrer. Denn Wandervogel-Junge würden sich am Anfang oft überschätzen. „Dann landen sie in der Regenrinne, vor dem Rathaus oder vor der Tür des Metzgers.“ In solchen Fällen solle immer die Feuerwehr angerufen werden, damit die Vögel wieder ins schützende Nest gebracht werden können, sagt Dedring.

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