Die rasende Weihnachtsfrau

Marion Bozzo fährt, als Weihnachtsmann verkleidet, mit ihrem Trike durch die Stadt - um Menschen glücklich zu machen, sagt sie.

Die rasende Weihnachtsfrau
Foto: Detlef Ilgner

Als der Weihnachtsmann um die Ecke biegt, röhrt der Motor, der Auspuff knattert. Leute bleiben verblüfft stehen. Starren aus dem Autofenster. Ein Kind auf dem Gehweg zerrt am Mantel seiner Mutter, die eigentlich die schweren Einkaufstaschen ins Auto schleppen möchte. Ein Auto hält an der roten Ampel, der Beifahrer steigt aus, fuchtelt mit den Armen, bis der Weihnachtsmann auch hält — und dann fragt er ehrfürchtig: „Darf ich ein Foto machen?“ Der Weihnachtsmann hebt den in schwarze Handschuhe gepackten Daumen und brummt „Ho ho ho“. So tief wie er kann. Allzu tief ist das nämlich nicht. Der Weihnachtsmann, den in diesen Tagen viele Mönchengladbacher mit seinem umgebauten Motorrad durch die Straßen brausen sehen und Fotos davon ins Internet hochladen, ist eine Weihnachtsfrau, eine Großmutter.

Die rasende Weihnachtsfrau
Foto: Detlef Ilgner

Marion Bozzo (58) gönnt sich eine Pause. Sie stellt ihr Motorrad auf dem Parkplatz ab. Ein paar dutzend Geschenke kleben darauf. Am Lenker ein künstliches Rentiergeweih und die rote Stupsnase — ein stilechter Weihnachtsmann-Schlitten, nur eben mit einer ganzen Menge Pferdestärken. Als sie vom Motorrad steigt, die Sonnenbrille und die Handschuhe auszieht, entfährt ihr ein kurzer Seufzer. Knapp 100 Kilometer hat sie an diesem Freitag schon hinter sich gebracht. Am Morgen noch einen kranken Jungen besucht, dessen Eltern sich bei ihr gemeldet hatten. Und zwischendurch jede Menge Menschen quasi im Vorbeifahren glücklich gemacht. „Alle Menschen sind in der Vorweihnachtszeit total im Stress“, sagt sie. „Ich will ihnen einen kurzen schönen Moment bereiten.“

Seit sieben Jahren macht sie das so, und zwar immer ab dem Nikolaustag: Wenn Marion Bozzo nicht in der Delphin-Apotheke in Viersen Salben anrührt und Kranken Medikamente verkauft, zieht sie morgens nach einem guten Frühstück mit Kaffee ihre schwere Motorrad-Kluft an, darüber das rote Weihnachtsmannkostüm, Bart, Perücke, Helm, Mütze und Sonnenbrille — und setzt sich auf ihr zum Trike umgebautes Motorrad.

Sie hat keine Route, keinen vorgefertigten Plan. Einfach los. „Ich fahre den ganzen Tag bis zum Einbruch der Dunkelheit durch die Region — wenn es nicht regnet“, sagt die Mönchengladbacherin, die seit einigen Jahren im benachbarten Dülken wohnt. „Ich fahre einfach, wohin der Lenker mich führt und so lange es Spaß macht.“ Das ist in der Regel den ganzen Tag. Denn im Weihnachtsmannkostüm auf dem Motorrad stecken zwei Leidenschaften: Die erste als Kind, das waren die Weihnachtsmann-Geschichten ihrer Großmutter. Aber spätestens mit zehn glaubte sie nicht mehr, dass die Engelchen backen, wenn der Himmel rot ist. Und die zweite ist das Motorradfahren. Zusammen mit ihrem Mann Hannes Bozzo fährt sie viele Touren im Sommer. Und als sie 2009 in der Viersener Innenstadt eine Gruppe Weihnachtsmänner auf Motorrädern durch die Innenstadt fahren sahen, da kam ihnen die Idee: Das können wir auch, aber noch besser. Anfangs setzten sie sich mit den Enkeln auf die Motorräder (die Kleinen stolz wie Bolle) und fuhren gemütlich ihre Weihnachtstouren. Weil ihr Mann Hannes Bozzo im Geschäft oft zu tun hat, fährt sie inzwischen meist alleine.

Einmal allerdings, da hatte sie unerwartete Begleitung: Als sie gerade mit ihrem ebenfalls verkleideten Enkel auf dem Sozius unterwegs war, entdeckte sie im Rückspiegel ein Polizeiauto. Sie fuhr noch langsamer, aber die Beamten überholten nicht. Sie kurvte in ein Wohngebiet, die Polizei verfolgte sie weiter. Bis in eine Sackgasse mit Kreisverkehr. Die Beamten stiegen aus, kamen auf sie zu, zogen die Mützen auf. Und einer fragte: „Dürfen wir ein Foto machen?“

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