Amoklauf von Schwalmtal: Langer Weg zurück ins Leben

Der Gladbacher Bernd Püllen überlebte schwer verletzt den Amoklauf von Schwalmtal. Eine Versicherung will nun neue Gutachten über seinen Zustand. „Das ist unverschämt“, sagt der 53-Jährige.

Mönchengladbach. Die Berufsgenossenschaft tut so als wäre es ein Beinbruch. So sieht es Bernd Püllen. Aber es war ein Kopfschuss, der den Mönchengladbacher am 18. August aus der Waffe eines Amokläufers in Schwalmtal-Amern traf und unter dem er heute noch leidet. Der Schuss ging durch den Unterkiefer, und zerschmetterte ihn.

„Das ist immer noch wie betäubt“, sagt der 53-Jährige. Kopfschmerzen gehören zu den körperlichen Folgen, weil das leicht verschobene Kiefergelenk die Nackenmuskulkatur stresst. Zweimal wöchentlich rückt der KieferntherapeutenPüllen das alles wieder gerade. Heute kann er den Mund schon wieder besser öffnen, anfangs konnte ihn seine Familie kaum verstehen.

Schmerzhaft, langwierig, unangenehm sei das, aber dennoch leichter zu ertragen als die seelischen Verletzungen des Anschlags. Schlafstörungen und Albträume sind das eine. „Da schrecke ich manchmal nachts auf und weiß nicht warum“, erzählt er. Angstzustände und erhöhte Reizbarkeit sind weitere Folgen.

Wobei sein Psychologe, den er jede Woche einmal aufsucht, nicht von einem Trauma sprechen will, sondern lediglich von „Anpassungsstörungen“. „Es kann mir passieren, dass ich in einem Treppenhaus eine Panik-Attacke bekomme“, beschreibt er diesen Zustand. Denn der Anschlag auf Püllen, der das Privathaus in Schwalmtal im Rahmen seiner Tätigkeit als Gutachter mit anderen Fachleuten nur ansehen wollte, passierte in einem Treppenhaus.

Akute Attacken müssen vermieden werden, damit sie sich nicht zu einem Trauma auswachsen. „Die Hälfte der Leute, die so etwas erleben, landet in der Klapse“, habe ihm der Psychologe gesagt und sieht ihn auf dem besten Wege, sagt Püllen.

Ein leicht aggressiver Unterton eines Redners in der Anhörung zur Biogas-Anlage Wanlo ließ den FWG-Ratsherrn jüngst zusammenschrecken. „Den Unterton hat mein Nachbar gar nicht wahrgenommen.“ Das sind Situationen, mit denen er im Arbeitsalltag eigentlich klar kommen müsse, was er aber nicht kann und deshalb seit 17 Monaten krankgeschrieben ist. Normal seien Behandlungszeiträume von sechs bis 24 Monaten.

Ein erster Stein fiel ihm vom Herzen, als das Urteil gegen den Mörder Ende 2010 rechtskräftig wurde und Püllen keine neuen Konfrontationen mehr vor Gericht fürchten musste. „Jetzt wollten wir weiter an der Genesung arbeiten“, habe er sich gefreut. Denn ein Leben ohne Arbeit sei für ihn unvorstellbar. „Dafür bin ich zu jung.“

Doch am vergangenen Freitag bekam er Post von der Unfallversicherung des Landes. Sie will ihn zu einem neurologischen Gutachter schicken. „Ich fühle mich, als wolle man mir unterstellen, ein arbeitsscheuer Simulant zu sein“, ärgert er sich. Als Opfer habe man keine gesetzlich verbrieften Ansprüche. Man müsse um alles kämpfen. „Die meisten Opfer tun das nicht. Die zermürben“, weiß er aus Beratungen des Weißen Rings. „Wenn es soweit ist, werde ich wieder arbeiten gehen. Vorher nicht. Schließlich habe ich mir das nicht ausgesucht“, gibt er sich kämpferisch.

Der Umgang mit ihm sei „unverschämt“, findet Püllen. Denn unbeschwert werde er nie mehr leben. „Ich war noch nicht am Grab meines ermordeten Kollegen. Ich würde mich auch gern bei den Leuten bedanken, die mir geholfen haben, als ich von dem Täter getroffen flüchtete. Aber das geht noch nicht.“

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