20-Jähriger wegen „Mordlust“ vor Gericht

Am 30. Juni stach ein junger Mann auf einen Wohnungslosen ein. Er wisse nicht, was in ihn gefahren sei, gab der Angeklagte gestern vor Gericht an. Der Prozess wird fortgesetzt.

Blass, unauffällig, leise. Das ist er erste Eindruck von dem 20-jährigen Angeklagten, der später einer Freundin im Zuschauerraum verstohlen eine Kusshand zuwirft. „Er ist nett, in keinem Fall aufbrausend“, sagt sein Freund im Zeugenstand. Und selbst das Opfer des 20-Jährigen hatte beim ersten Kontakt noch gedacht: „Ein armer Kerl.“ Doch dann wurde es von ihm niedergestochen, „weil er jemanden sterben sehen wollte“. „Versuchter Mord aus Mordlust“ wirft Staatsanwalt dem 20-Jährigen vor.

55-jähriges Opfer

Seit gestern steht der Mann vor Gericht, der am 30. Juni vergangenen Jahres in der Altstadt ein Opfer suchte und es in einem 55-jährigen Wohnungslosen fand. Achtmal soll der Angeklagte zugestochen haben. Schwer verletzt konnte sich das Opfer noch ins Krankenhaus Maria Hilf retten. Es überlebte und schilderte gestern noch einmal die Tat aus seiner Sicht. Der 55-Jährige, war von Aachen nach Mönchengladbach teils mit dem Fahrrad, teils mit der Bahn gereist. Er wollte Freunde besuchen. Man traf sich im Hans-Jonas-Park, wo der 55-Jährige einschlief. Um 2 Uhr morgens wurde er wach, nahm den Rucksack und ging Richtung Altstadt. Dort sprach ihn der Angeklagte an: „Er fragte mich, wo ich her komme, wo ich wohne, ob ich Geld hätte und ob ich Lust hätte, mit ihm einen Einbruch zu machen“, berichtet der 55-Jährige.

Der ihm völlig fremde Mann mit der Kapuze über dem Kopf habe nicht locker gelassen. „Dabei habe ich mindestens viermal gesagt, er solle mich in Ruhe lassen.“ Das habe er auch in der Nähe des Dicken Turms noch einmal wiederholt, wo der 55-Jährige sich eine Zigarette drehte. Dann soll der Satz gefallen sein, der den Mann aus Aachen sofort flüchten ließ: „Ich habe Lust, jemanden zu töten.“ Der 55-Jährige rannte die Waldhausener Straße hinunter, bog in die Ludwigstraße ein. Dort holte ihn sein Verfolger ein, stach das erste Mal zu. Dann soll der 20-Jährige den Älteren in einen Hoteleingang gedrängt haben. Weitere Messerstiche folgten. „Ich habe um Hilfe geschrien. Als jemand die Jalousien hochzog, ließ er von mir ab“, schildert der 55-Jährige. Und: „Ich habe Glück gehabt. Ich hatte drei Jacken an — einen Seidenblazer, eine Lederjacke und eine Schimanski-Jacke. Blut habe ich zuerst nicht an mir gesehen, aber es wurde wärmer um mich herum. Ich wusste, dass etwas nicht stimmt, dann habe ich mich zum Krankenhaus geschleppt.“

Der Angeklagte, der schon zu Prozessbeginn eingeräumt hat, zugestochen zu haben, entschuldigt sich bei seinem Opfer im Gerichtssaal: „Auch wenn Sie das nicht annehmen können. Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.“ Der 55-Jährige schaut weg. Nein, er nehme die Entschuldigung nicht an, wird er später sagen. Im Laufe des Prozesses will der 20-Jährige Aussagen machen, wenn er sich durch die Zeugenaussagen wieder an den Tatmorgen erinnert, lässt er seinen Anwalt ausrichten. Im Moment könne er nichts beitragen, weil er erheblich alkoholisiert gewesen sei.

Zu seinem Lebenslauf gibt er aber Auskunft: Geboren in Litauen kam er mit elf Jahren nach Deutschland. Seine Mutter hatte ihn geholt. Sie hatte sich drei Jahre vorher von ihrem Mann wegen häuslicher Gewalt getrennt. Die gemeinsamen Kinder kommen für eine Zeit ins Heim. Dort erleben sie ebenfalls Gewalt. Die Hackordnung unter den Kindern wird sich erkämpft. In Deutschland wechselt der heute 20-Jährige zweimal die Schule wegen Fehlstunden. Er hat keinen Schulabschluss, nimmt gelegentlich Hilfstätigkeiten an. Nach dem Auszug bei seiner Mutter ist er wohnungslos, übernachtet bei Freundin oder Freunden — bis er zwölf Tage nach der Tat von der Polizei gefasst wird.

Der Prozess wird fortgesetzt.

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