Migrationspolitik Grundschulpraktiker auf Distanz zu Linnemanns Thesen

Düsseldorf · Rektoren halten nichts vom Zurückstellen der Einschulung bei Sprachproblemen. Auch das Land verweist auf die Schulpflicht.

 Carsten Linnemann (CDU), Vizevorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag.

Carsten Linnemann (CDU), Vizevorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag.

Foto: picture alliance / dpa/Michael Kappeler

Zum Schuljahresstart gehen Grundschulpraktiker auf Distanz zu den Thesen des CDU-Politikers Carsten Linnemann über Sprachdefizite bei Grundschülern. „Wir versuchen gerade, inklusive Schulentwicklungsprozesse zu leben“, sagte Christiane Mika, NRW-Vorsitzende des Grundschulverbands, im Interview mit dieser Zeitung. „Wenn wir dabei irgendetwas nicht gebrauchen können, sind es Ausgrenzungen und Maßnahmen des Aussortierens.“ Die 57-Jährige ist Grundschulleiterin im Dortmunder Norden. Der Migrantenanteil in ihrer Schule liegt bei 96 Prozent.

Auch Mikas Burscheider Amtskollegin Claudia Zimmermann plädiert dafür, Kinder selbst bei großen Sprachmängeln in der Regelklasse zu belassen. „Es gibt einen starken Wunsch nach Teilhabe.“ Notwendig seien dafür ein individueller Unterricht und pädagogischer Erfindungsreichtum. Wo der Wunsch nach schneller Integration bestehe, „kann man nicht sagen: Ich isoliere diese Kinder“. An der Montanusschule in Burscheid (Rheinisch-Bergischer Kreis) liegt der Migrantenanteil bei 70 Prozent.

Linnemann, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hatte in der Ferienzeit gefordert, bei zu großen Sprachdefiziten müsse notfalls die Einschulung zurückgestellt werden. Der Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung brachte auch eine Vorschulpflicht ins Gespräch.

Im NRW-Schulministerium findet er damit keine Unterstützung. „Der Vorschlag, Kinder nicht einzuschulen, sofern sie noch kein oder nur wenig Deutsch können, widerspricht der Schulpflicht und dem Integrations- und Bildungsauftrag von Schule“, so Staatssekretär Mathias Richter gegenüber dieser Zeitung. Knapp 95 Prozent aller vierjährigen Kinder in NRW besuchen eine Kindertageseinrichtung und erhalten dort Sprachbildung. Die restlichen fünf Prozent müssen sich zwei Jahre vor der Schulung dem Delfin-Sprachtest unterziehen und gegebenenfalls verpflichtende Sprachangebote besuchen. 2018 hatten 6152 Kinder einen Sprachförderbedarf. Auch beim Anmeldegespräch ein Jahr vor dem Schulstart wird der Sprachstand festgestellt.

An den 2782 Grundschulen in NRW starten diese Woche knapp 160 000 Erstklässler. Insgesamt haben 43,6 Prozent aller Grundschüler einer Zuwanderungsgeschichte.

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