Ausbildung junger Ärzte Medizinstudenten ärgern sich über Corona-Chaos beim Examen

Düsseldorf · Das zweite Staatsexamen wurde eigentlich bundesweit verschoben – in NRW soll es nach wochenlanger Unsicherheit doch stattfinden. Wird die Ausbildung der Nachwuchsmediziner in der Krise schlechter?

 In einigen Bundesländern sollen Medizinstudenten ohne zweites Staatsexamen ins Praktische Jahr starten - in NRW wird die Prüfung geschrieben.

In einigen Bundesländern sollen Medizinstudenten ohne zweites Staatsexamen ins Praktische Jahr starten - in NRW wird die Prüfung geschrieben.

Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Zu Hause kaserniert sein ohne Kontakt zu Freunden – für viele ist das eine neue Erfahrung; Rebekka Braband befindet sich schon seit Dezember „quasi in Quarantäne“. So lange lernt die Düsseldorfer Medizinstudentin im zehnten Semester schon bis zu zwölf Stunden pro Tag für ihr zweites Staatsexamen. Die für Mitte April angesetzte Prüfung stand allerdings wochenlang auf der Kippe – weil die Medizinstudenten früher ins Praktische Jahr (PJ) starten und in den Krankenhäusern bei der Bewältigung der Corona-Epidemie helfen sollten. Jetzt soll sie in NRW doch stattfinden, in anderen Bundesländern hingegen wird es 2021 ein sogenanntes „Hammerexamen“ geben. „Es ist ein völliges Chaos“, sagt auch Sophie Huckemann, die in Bochum studiert.

Das zweite Staatsexamen für angehende Ärzte mit schriftlichen Prüfungen über drei Tage und vorgeschaltetem „100-Tage-Lernplan“ ist berüchtigt. Viele Studierende schließen sich monatelang zum Lernen ein. Um in diesem Jahr plötzlich das Gefühl zu haben, dass alles umsonst war. „Das ist ein psychischer Druck, den kann man Außenstehenden gar nicht erklären“, sagt Rebekka Braband. Viele hätten die Vorbereitung zwischenzeitlich eingestellt. „Das wird sich auch in den Prüfungsergebnissen widerspiegeln“, ist sie sicher.

Wäscherei statt Medizinpraxis für die angehenden Ärzte?

 Medizinstudentin Sophie Huckemann beklagt „völliges Chaos“ bei Planung der Prüfungen.

Medizinstudentin Sophie Huckemann beklagt „völliges Chaos“ bei Planung der Prüfungen.

Foto: Sophie Huckemann

Hintergrund ist das Gerangel um die „Verordnung zur Abweichung von der Approbationsordnung für Ärzte bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, die zum 1. April in Kraft getreten ist. Hinter dem sperrigen Titel verbirgt sich der Versuch von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Medizinstudierende schnell in die Krankenhäuser zu bringen, um dort bei der Bewältigung der Corona-Krise zu helfen. Das zweite Staatsexamen wurde grundsätzlich bundesweit verschoben, damit das Praktische Jahr der angehenden Ärzte umgehend starten kann. Dieses soll dann von 48 auf 45 Wochen verkürzt werden, damit im Anschluss zumindest noch etwas Zeit bleibt, sich dann direkt auf ein zweites und drittes Examen vorzubereiten – das, was landläufig als „Hammerexamen“ bezeichnet und von Studierendenvertretern vehement kritisiert wird.

Die neue Verordnung bedeute „eine erhebliche Gefährdung der mentalen Gesundheit der Studierenden und einen klaren Einschnitt in die Qualität der medizinischen Ausbildung“, glaubt man bei der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (BVMD). Aber nicht nur die Zusammenlegung der beiden Examina moniert man, sondern auch dass die Entscheidung darüber Ländersache sein soll. So hat NRW eben – wie einige andere Bundesländer – vor knapp zwei Wochen entschieden, dass am 15. April doch geprüft werden soll. „Die Medizinstudierenden werden hier im Kompetenzgerangel von Bund und Ländern zerrieben, kurz bevor das Praktische Jahr mit einer unvorhersehbaren Versorgungssituation und kaum stattfindender Lehre starten soll“, sagt BVMD-Bundeskoordinator für Gesundheitspolitik, Philip Plättner.

 Medizinstudentin Rebekka Braband aus Düsseldorf fürchtet, im Praktischen Jahr eher die Wäscherei kennenzulernen als die breite medizinische Praxis.

Medizinstudentin Rebekka Braband aus Düsseldorf fürchtet, im Praktischen Jahr eher die Wäscherei kennenzulernen als die breite medizinische Praxis.

Foto: Rebekka Braband

Auch Sophie Huckemann aus Bochum fürchtet: „Mit einer Vergleichbarkeit von Abschlüssen hat das nichts mehr zu tun.“ Wie sie fürchtet auch Rebekka Braband ohnehin drastische Einschnitte bei der Ausbildung in diesem kommenden Jahr. „Herr Spahn hat ja angekündigt, wir könnten notfalls in den Wäschereien oder beim Transport aushelfen“, sagt Braband. „Das Wichtigste ist in dieser Situation natürlich, dass der Laden läuft. Aber ich frage mich schon, ob für solche Arbeiten nicht andere Menschen eingestellt werden könnten, die dafür auch qualifiziert sind.“ Es sei nicht der richtige Weg, wenn der Bewältigung der aktuellen Krisensituation die Qualifikation von Medizinern der Zukunft zum Opfer falle.

Trotzdem sind beide Studentinnen aus NRW erleichtert, dass ihnen nach Monaten der Lernerei eine Verschiebung der Prüfung und das Hammerexamen am Ende erspart bleiben. „Dieses Hammerexamen wäre mein Worst Case überhaupt gewesen“, sagt Braband. Auch die BVMD lobt, dass das Gesundheitsministerium Forderungen etwa zur Verkürzung des PJ sowie zur Vereinfachung des dritten Staatsexamens aufgenommen habe. Auch kündigte Spahn in dieser Woche an, coronabedingte Erfahrungen und Krankheitsbilder sollten bei den Prüfungsfragen für das nachgeholte zweite Staatsexamen im kommenden Jahr dann angemessen berücksichtigt werden. Er sei dankbar für die Unterstützung der Studenten, betonte er – gleichzeitig bekräftigen die NRW-Studentinnen wie die BVMD den Willen, jetzt zu helfen. Im Kern der Sache ist man in dieser Krise also einig.

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