Virtuelle Gedenkstätte Wo die Nazis in Viersen wohnten

Düsseldorf · Eine Online-Gedenkstätte zeigt Namen und exakte Wohnorte von Opfern und Tätern der NS-Zeit in der Stadt am Niederrhein. Bedenken hat offenbar niemand.

 Das Projekt erzählt die Geschichte des jüdischen Kaufmanns Nathan Lifges, der ein Textilwarengeschäft gründete. Hier im Vergleich von Anfang des 20.Jahrhunderts und heute. 

Das Projekt erzählt die Geschichte des jüdischen Kaufmanns Nathan Lifges, der ein Textilwarengeschäft gründete. Hier im Vergleich von Anfang des 20.Jahrhunderts und heute. 

Foto: Virtuelle Gedenkstätte Viersen

Wie hieß der Ortsgruppeleiter der NSDAP Viersen-Süd? Und in welchem Haus lebte eigentlich Blockleiter Fritz W.? Wer waren die Menschen, die deportiert wurden? Fragen, die eine virtuelle Gedenkstätte der Stadt Viersen über die Zeit unter nationalsozialistischer Führung seit neuestem beantwortet.

Der Verein „Förderung der Erinnerungskultur – Viersen 1933 bis 45“ hat in Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe, der Volkshochschule und einer Realschule diese interaktive Gedenkstätte erarbeitet. Viele Stunden, Wochen und Monate im Archiv liegen hinter den Ehrenamtlichen des Vereins. Das Ergebnis sind detaillierte Karten, auf denen die Wohnhäuser von Opfern des Krieges und Beteiligten gekennzeichnet sind. „In der Informationsdichte ist das Projekt einzigartig“, sagt der Vereinsvorsitzende Mirko Danek. Zwar gebe es bereits in Berlin und anderen Städten einzelne Datenbanken und Karten, ein kombiniertes Onlineprojekt aus Wissen zu Stolpersteinen, Opfern, Beteiligten und Stadtgeschichte ist laut Danek  einmalig.

Als Beteiligte werden Mitglieder der Wehrmacht und NSDAP-Mitglieder bezeichnet. Das Wort Täter wurde absichtlich gemieden. „Täter ist eine strafrechtliche Kategorie. Es gibt zu viele Graustufen zwischen den Verstrickten und den Mitläufern, die wir unter dem Begriff „Beteiligte“ zusammenfassen“, sagt Manfred Budel, Vorstandsmitglied des Vereins. Gemeint sind Nazis. „Hellgrau ist jemand, der in die NSDAP eingetreten ist, um beispielsweise Jura studieren zu können“, erklärt Budel. Und ein junger Soldat, der im Krieg gefallen ist, könne Opfer und ‘Täter‘ zugleich sein. Nur für Verurteilte sei deshalb das Wort Täter zutreffend. In einer Datenbank können alle Angaben zu den „Beteiligten und den Opfern des Krieges in Viersen herausgefiltert werden. Diese Rechercheleistung kostete die Ehrenamtlichen des Vereins viele Stunden, Wochen und Monate im Archiv.

Datenschutzrechtliche Probleme gibt es laut Budel nicht. „Die europäische Datenschutzgrundverordnung gilt nur für lebende Personen“, erklärt Budel, der selbst Jurist ist. Die Stadt Viersen bestätigt das. „Nach Kenntnis der Stadtverwaltung ist höchstrichterlich entschieden, dass eine namentliche Veröffentlichung von Tätern zulässig und geboten ist bei Straftaten, die zeitgeschichtlich bedeutsam sind, insbesondere bei NS-Taten“, schreibt eine Sprecherin der Stadt.

Bedenken, ob angesichts der detaillierten persönlichen Daten Probleme für etwaige Nachfahren aufkommen könnten, wie aktuell bei dem mutmaßlichen Mord am Sohn Richard von Weizsäckers in dieser Woche, haben die Ersteller der Gedenkstätte nicht. „Das halte ich für ausgeschlossen, wir haben ja keine Sippenhaft“, so Budel. Zudem gehe es nicht darum, „Leute an die Wand zu nageln“, sondern die Menschen, vor allem junge Leute, zu sensibilisieren. „Parallelen zu heutigen Strömungen sind auf jeden Fall sichtbar“, betont auch Mirko Danek. „Schüler lernen am besten an der Geschichte vor Ort. Sie sollen nicht nur sehen, was in Berlin oder München war, sondern was direkt direkt vor ihrer Haustür“, beschreibt Budel den Lerneffekt. Auf den Karten der Stadtteile Dülken, Süchteln können sich Interessierte durchklicken, um zu sehen, wer die Menschen im Krieg und Faschismus waren. „Die Aufarbeitung der Stadtgeschichte war politisch und historisch längst überfällig“, meint Budel.

Die Resonanz der vergangenen Tage auf die virtuelle Gedenkstätte ist nach Angaben Daneks durchweg positiv gewesen. „Wir haben sogar Anfragen bekommen, von Leuten, die etwas über ihre Familiengeschichte wissen möchten“, erzählt er.

Neben den Datenbanken und Straßenkarten lässt die Gedenkstätte auch Zeitzeugen in Audioformat sprechen und erzählt die Geschichte historischer Gebäude der Stadt. So zum Beispiel der ehemaligen Synagoge und des Kaufhauses Katzenstein. Auch lokalen Persönlichkeiten sind multimediale Beiträge gewidmet. Einige Informationsbausteine sind auch in leichter Sprache verfügbar.

Noch bis zum Sonntag, 24.November, ist eine begleitende Ausstellung im Stadthaus in Viersen zu sehen. Die virtuelle Gedenkstätte bleibt dauerhaft online.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort