Adventsserie: Die WZ öffnet Türen Wahrzeichen von St.Tönis: Schwindelgefühl im Wasserturm

Eines der Wahrzeichen von St.Tönis gehört dem Arzt Cornelius Vogl, der nebenan praktiziert. Die WZ stieg mit ihm hinauf.

Adventsserie: Die WZ öffnet Türen: Wahrzeichen von St.Tönis: Schwindelgefühl im Wasserturm
Foto: Reimann

St. Tönis. Dr. Vogl warnt vor toten Tauben. Immer wieder finde er verendete Tiere auf den Stufen. Was für den Lokaljournalisten ein kleines Abenteuer ist, scheint für den Mediziner Alltag zu sein. Für den Aufstieg hat er sich noch nicht einmal umgezogen. Er trägt ein OP-grünes Hemd, eine schneeweiße Hose, ebensolche Schlappen an den Füßen und hat ein Stethoskop um den Hals. Der Facharzt für Innere Medizin ist direkt aus seiner benachbarten Praxis zum Wasserturm gekommen.

Adventsserie: Die WZ öffnet Türen: Wahrzeichen von St.Tönis: Schwindelgefühl im Wasserturm
Foto: Reimann

Eine halbe Stunde nimmt sich der 57-jährige Anrather Zeit, um dem Besucher eines der markantesten und ungewöhnlichsten Gebäude in St. Tönis von innen zu zeigen. Seit mehr als zehn Jahren befindet es sich im Besitz des Arztes. Eigentlich habe er nur eine neue Praxis bauen wollen: Das vor einigen Jahren errichtete Ärztehaus steht heute auf demselben Sockel wie das alte Pumpenhaus, das abgerissen wurde. „Doch die Stadtwerke wollten nur im Ensemble verkaufen“, fährt Cornelius Vogl fort. „Der Turm war also dabei.“

Seit Ende der 1920er-Jahre gehört der 45 Meter hohe, oktogonale, also achteckige Wasserturm zur Skyline von St. Tönis. Wie eine Info-Tafel an seinem Fuß erklärt, sorgte seine Inbetriebnahme dafür, „dass die Bevölkerung ihr Wasser nicht mehr mühselig aus dem Brunnen ins Haus tragen musste, sondern das lebensnotwendige Nass aus dem Hahn kam“.

Über den 250 Kubikmeter fassenden Hochbehälter im Kopf des Turms wurde die Bevölkerung versorgt. Längst ist der Turm „in Rente“. Doch noch immer schweben etwa 150 Kubikmeter Wasser über den Besuchern des Cafés Eigenwillig im Erdgeschoss. „Das hat statische Gründe“, erklärt der Eigentümer.

Die Tour himmelwärts beginnt vor einer unscheinbaren Metalltür, links neben dem Eingang zum Café. Der Mediziner zückt den Schlüssel und geht voran. Während es ganz unten im Turm nach Kaffee und Kuchen duftet, riecht es einige Stufen höher nach Baustelle. Und es sieht auch danach aus — überall liegen Werkzeuge und Baumaterialien herum.

„Ich lasse derzeit die ehemalige Turmwärterwohnung renovieren“, erklärt der Eigentümer. Auf den etwa 65 Quadratmetern habe es zuvor „verboten“ ausgesehen: „Der Putz fiel von den Wänden und von der Decke.“ Der Vermieter plant eine gewerbliche Nutzung im ersten Stock — Wohnen ist behördlicherseits nicht erlaubt —, und hat bereits Interessenten an der Hand.

Diese könnten dann auch den großen Raum darüber nutzen. Er hat keine Wände, die Deckenhöhe beträgt sieben Meter. Meetings und Produktpräsentationen wären in diesem Beinahe-Rund genauso möglich wie Shakespeare-Aufführungen, zumindest im kleinen Rahmen. Früher war in den Räumen mal eine Kreativ-Schule für Kinder und Jugendliche beheimatet.

Für den weiteren Weg ist Schwindelfreiheit ein absolutes Muss: Eine an der Innenwand befestigte Treppe windet sich wie ein schmaler Beton-Lindwurm etwa 30 Meter in die Höhe. Keine weitere Zwischendecke versperrt den Blick nach unten. Wer nach rechts über das Geländer äugt, fühlt sich in ein Werk von M.C. Escher versetzt. Es ist aber ratsam, nur auf die jeweils nächste Stufe zu schauen, um ein Schwindelgefühl zu vermeiden.

Als Belohnung für die weichen Knie gibt es im Raum unterhalb des Wassertanks, den zwei Mobilfunkanbieter für ihre Antennen nutzen, eine tolle 360-Grad-Aussicht über den Ort. Per Metall- und Holzleitern ginge es sogar noch höher und auch ins Freie. Doch der Lokaljournalist beschließt, dass es genug Abenteuer für einen Mittag war.

Kurz vor dem Abstieg wischt plötzlich etwas durchs Blickfeld. „Das war nur ein Turmfalke“, beruhigt Cornelius Vogl.

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