Öffentlicher Personennahverkehr Wenn Bürger für Bürger fahren

St. Tönis · Vor 20 Jahren hat der Bürgerbus seine erste Runde durch St. Tönis gedreht. Heute ist der Verein zwei Millionen Kilometer und 440 000 Fahrgäste weiter in der Statistik.

 Horst Dicken (l.), Vorsitzender des Vereins Bürgerbus Tönisvorst, und  Pressereferent Manfred Hoffmann.

Horst Dicken (l.), Vorsitzender des Vereins Bürgerbus Tönisvorst, und  Pressereferent Manfred Hoffmann.

Foto: Kerstin Reemen

Manfred Hoffmann, Pressereferent des Tönisvorster BürgerbusVereins, hat die 20-jährige Erfolgsgeschichte des Busses zwischen zwei Aktendeckeln. In dem Ordner ist auch der Artikel abgeheftet, der vor der Jungfernfahrt des neuen öffentlichen Nahverkehrs-Angebots in der WZ gestanden hat. Datiert ist er mit „20. Dezember 1999“. Genau zwei Jahrzehnte ist das bald her.

Und er fährt und fährt und fährt. Diese Aussage trifft auf den Bürgerbus als etablierte und unverzichtbare Marke zu. Und auf Hoffmann, den St. Töniser, der in Kempen wohnt, und der als einer von aktuell 41 Fahrern und Fahrerinnen für die Verlässlichkeit des Pendeldienstes am Steuer sitzt.

Fahrzeiten in der hektischen Vorweihnachtszeit

„Ich fahre drei Mal im Monat, immer samstags drei Stunden.“ In der Vorweihnachtszeit weiß Hoffmann danach, was er getan hat.

Es ist sein freiwilliger, ehrenamtlicher, damit unbezahlter Dienst am Nächsten, an denen, die entweder nicht mehr über ein eigenes Auto verfügen, nicht mehr fahren möchten oder können oder sich einen eigenen Wagen nicht leisten können oder wollen.

Das Konzept „Bürger fahren für Bürger“ hat Tönisvorst in einer Vorreiterrolle vor 20 Jahren in die Stadt und in den Kreis Viersen geholt. Viele weitere entsprechende Angebote sind seitdem in der Region, unter anderem in Willich, angerollt.

2011 wurde in der Apfelstadt die Millionen-Kilometer-Marke geknackt. Jedes Jahr kommen seither 55 000 bis 60 000 Kilometer dazu. Das macht rund zwei Millionen in 20 Jahren. In Tönisvorst werden die Fahrer bis Ende dieses Jahres 440 000 Fahrgäste seit der Jungfernfahrt befördert haben. Zahlen, mit denen Horst Dicken, erster Vorsitzender des Bürgerbus-Vereins, punktet.

Er aber weiß wie seine Mitstreiter im Vorstand, wie sehr die Marke Bürgerbus gepflegt werden muss: Das geht los mit den Plänen für den werktäglichen Einsatz von elf 60-Minuten-Runden durch St. Tönis (samstags verkürzt), geht weiter über die Wagenpflege bis hin zur regelmäßigen Suche nach neuen Fahrern fürs Team. Ehrenamtlich, versteht sich. „Wir sind keine Mitarbeiter der Sparkasse“, betont Dicken. Die Sparkasse ist Hauptsponsor, daher findet sich das Logo auf dem Bus und der Fahrerkleidung. „Aber Konten eröffnen wir nicht“, sagt er. Anfragen dazu gab es tatsächlich.

Als der Rewe-Markt in Vorst kürzlich geschlossen hatte, gab es fordernde Beiträge in sozialen Medien den Einsatz des Bürgerbusses betreffend. Dicken: „Vielen scheint gar nicht klar zu sein, dass wir nicht bezahlt werden.“ Seit einigen Jahren ist Vorst nicht mehr Haltestellenziel des Angebots. Es war zu wenig nachgefragt worden. Busse der SWK bedienen die Pendler.

Attraktiv wollen die Tönisvorster ihr Angebot zur Mobilität halten und bewerben. „Wir sprechen alle Bürger an, einzusteigen.“ Auf 18 000 Fahrgäste im Jahr 2019 werden sie kommen. 6000 von ihnen haben einen (Schwer-)Behindertenausweis. Sie zahlen, wie Kinder bis sieben Jahre, keinen Fahrpreis. „Aber die Bezirksregierung deckt nicht den ausgefallenen Betrag. 6000 Gratisfahrten machen bei einem Fahrpreis von 1,30 Euro ca 7800 Euro aus. Von Düsseldorf kommen aber nur rund 3500 Euro.“

„Was wir leisten, wird haarsträubend unterschätzt“, sagt Dicken. Kleine, aber wichtige Beispiele sind zusätzliche Einsätze wie zum Beispiel zum Apfelblütenlauf. „Da stiegen 220 Fahrgäste, darunter viele Sportler, bei uns zu.“

2020 kommt in St. Tönis ein neues Fahrzeug zum Einsatz. Ein Niederflurbus, wie er nun vorgeschrieben wird, damit auch Rollstuhlfahrer auf den Touren mitgenommen werden können. Das stellt den Bürgerbusverein durchaus vor Herausforderungen. Dicken: „Pro Rollstuhl verlieren wir etwa zehn Minuten auf der Tour, weil die Fahrer beim Zustieg helfen, Fahrgast und Rollstuhl anschnallen und wieder abschnallen müssen.“

So ein Niederflurbus kostet mit rund 100 000 Euro etwa 40 000 Euro mehr als die aktuellen Modelle. Dicken: „Der Antrag für den neuen Bus, den die Stadt Tönisvorst bezuschusst, wurde im Mai 2019 gestellt. Er läuft über die SWK, die die Landesmittel beantragt. Genehmigt ist die Anschaffung noch nicht.“ Liegt diese vor, müsse die Ausschreibung und dann die Konfigurierung des Wagens folgen. Lieferzeit: mindestens acht Monate. „Wir rechnen mit einem Einsatz im Oktober 2020“, so Dicken und Hoffmann.

Abgesehen von bürokratischen Hürden und Geduldsübungen sind die Bürgerbus-Unterstützer in Tönisvorst mit ihrer Truppe sehr zufrieden. „Wir sind eine sehr homogene Truppe., Es klappt vorzüglich“, so Dicken.

Seit dem 1. September ist der Bürgerbusverein auch Mitglied im ehemaligen Werbering, jetzt „St. Tönis erleben“. Die Vernetzung und gegenseitige Unterstützung lässt sich schon an diesem Wochenende ablesen. Die Fahrer bieten zusätzliche Fahrzeiten an und ermuntern Bürger ausdrücklich zur Mitfahrt. „Dann kann das Auto zu Hause stehen bleiben und die Parkplatzsuche in der Stadt entfällt.“

Dicken will, wenn er bei guter Gesundheit bleibt, noch drei Jahren die Geschicke des Vereins mittragen. Aber vorausschauend wie er arbeitet, wird er mögliche Nachfolge-Lösungen anpeilen. Denn 20 Jahre Bürgerbus sind erst ein Anfang.

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