Transsexualität - vom Mädchen zum Mann „Ein bisschen wie beim Maßschneider“ - So war die OP zur Entfernung der Brüste

Düsseldorf · Knapp 17 Jahre nach seiner Geburt als Sherina durchläuft Scott Pantelidis eine Wandlung vom Mädchen zum Mann. Wir begleiten ihn in der Serie „Scotts Wandlung“.

 Scott Pantelidis und seine Mutter Eva vor der Klinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie am Florence-Nightingale-Krankenhaus in Düsseldorf-Kaiserswerth – einen Tag vor Scotts Brustoperation.

Scott Pantelidis und seine Mutter Eva vor der Klinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie am Florence-Nightingale-Krankenhaus in Düsseldorf-Kaiserswerth – einen Tag vor Scotts Brustoperation.

Foto: Michaelis, Judith (JM)

Es ist ein Montag im Oktober 2018, mitten in den Herbstferien. Scott Pantelidis steht am Empfang der Klinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie des Florence-Nightingale-Krankenhauses in Düsseldorf-Kaiserswerth und füllt den Patientenbogen aus. Bei der Frage nach Medikamenten trägt er „Testosteron“ ein. Viel Erfahrung hat der 16-Jährige mit solchen Bögen nicht. Bisher ist er in seinem ganzen Leben nicht ein einziges Mal operiert worden. Das soll sich jetzt ändern. Weil er sich ändern will, zumindest körperlich. Er will seine Brüste entfernen lassen.

„Ich bin weniger aufgeregt, als ich dachte“, sagt er. Gleich wird er sein erstes Beratungsgespräch erhalten. Assistenzarzt Michael Hambüchen wird ihm das Informationsblatt „Operative Entfernung des Brustdrüsengewebes unter der Haut bei gutartigen Veränderungen (Subkutane Mastektomie)“ überreichen, das mit „Liebe Patientin“ beginnt. Für Transsexuelle, die ihren weiblichen Körper ihrem männlichen Geschlechtsempfinden angleichen wollen, ist es nicht geschrieben.

Ein Armband mit der Aufschrift „100 Prozent Mensch“

Aufgeregter als Scott ist seine Mutter Eva Pantelidis, die ihn begleitet: „Das ist ja keine Routine-OP.“ Ihr Sohn, den sie 14 Jahre lang als Tochter gesehen hatte, trägt ein Armband vom Christopher Street Day am Handgelenk. Es hat die Aufschrift: „100 Prozent Mensch“.

Eine Sache ist es, bei Ärzten auf das medizinische Können zu vertrauen. Da ist die Klinik in Kaiserswerth mit jährlich rund 250 Brustoperationen bei trans­identen Patienten eine der ersten Adressen der Wahl. Eine andere Sache ist es, persönliches Vertrauen aufzubauen. Michael Hambüchen hat die Gabe, der angespannten Situation sofort jede Dramatik zu nehmen. Routiniert klärt er die rechtlichen Voraussetzungen ab, dann bittet er Scott ins Nebenzimmer zum Maßnehmen: „Das ist ein bisschen wie beim Maßschneider.“ Danach erklärt der Arzt, wie bei der Operation vorgegangen wird. Als Mutter und Sohn nach dem Beratungsgespräch wieder draußen vor dem Backsteingebäude stehen, sagt Scott, er fühle sich jetzt besser. Und trocken schiebt er nach: „Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass er das nicht hinkriegt.“

„Ich hatte schlaflose Nächte“, sagt die Mutter vor der Operation

Aber bis Michael Hambüchen den Beweis antreten kann, dass er das hinkriegt, vergehen noch dreieinhalb quälende Monate. Das Okay des Medizinischen Dienstes zur Kostenübernahme durch die Krankenkasse lässt auf sich warten. Doch Ende Januar geht plötzlich alles ganz schnell. Am 5. Februar stehen Scott und seine Mutter erneut vor dem Backsteingebäude in Kaiserswerth. „Ich hatte schlaflose Nächte“, sagt Eva Pantelidis. Am nächsten Morgen ist die Operation angesetzt. Noch einmal hat sie ihren Sohn gefragt, ob er sich alles wirklich gut überlegt hat. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. „Ich glaube, ich habe mehr Angst vor der Operation als alle anderen.“ Am Abend schickt sie noch eine Whatsapp-Nachricht hinterher: „Musste heute mit den Tränen kämpfen, ist doch nicht so easy . . .“

Am Morgen des 6. Februar 2019, einem Mittwoch, wird der Schüler Scott Pantelidis gegen 11.20 Uhr in den Operationssaal geschoben. Knapp 17 Jahre zuvor war er als Sherina geboren worden. Die gut anderthalbstündige Operation soll diesen Irrtum der Natur korrigieren. Um 15.18 Uhr schreibt die erleichterte Mutter: „Alles gut. Er hat Hunger.“

Die Erleichterung hält bis zum nächsten Morgen. Bei der Visite ist Assistenzarzt Hambüchen mit dem Zustand der Wunde noch sehr zufrieden. Dann steht Scott auf und geht ins Bad, um zu duschen. Plötzlich wird ihm schwindelig. Die rechte Schulter schwillt minütlich mehr an. Nachblutungen waren schon beim ersten Vorgespräch als eine mögliche Folge des Eingriffs genannt worden. Jetzt ist eine erneute Operation notwendig, um die Blutung zu stillen – und zwar umgehend. „Ach Mensch“, sagt der Arzt beim Verlassen des Krankenzimmers und sein Tonfall macht deutlich, dass er seinem jungen Patienten diese zusätzliche Belastung liebend gerne erspart hätte. Doch Scott selbst bleibt erstaunlich gelassen.

Einen Tag später ist alles überstanden. Scott koordiniert schon vom Krankenbett aus per Handy den Besuch seiner Freunde. Über mangelnde Anteilnahme kann er sich nicht beklagen, per Instagram erreichen ihn Glückwünsche in Serie. Auch die Schulter ist wieder abgeschwollen, alles sieht gut aus. „Ich bin einfach nur glücklich darüber.“ Zufrieden blickt Scott auf das Krankenhausarmband mit dem Geschlechtshinweis „M“ für „Männlich“. Er teilt sich das Zweibettzimmer auf der Station auch mit einem anderen Mann, natürlich.

Nur die körperliche Belastung des operativen Eingriffs hat der 16-Jährige im Vorfeld unterschätzt. „Es ist doch anstrengender als gedacht.“ In zwölf Tagen steht schon die erste Klausur zum Vorabitur an, Deutsch-Leistungskurs. Für mal eben so zwischendurch ist eine Brustentfernung dann doch eher nicht gedacht. „So richtig habe ich auch noch nicht realisiert, dass das jetzt ein gewaltiger Schritt war.“

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