Transport nach Theresienstadt

Bernd-Dieter Röhrscheid erinnert an eine dritte Deportation von Willicher Juden ins Ghetto — heute vor 70 Jahren.

Willich. Studiendirektor Bernd-Dieter Röhrscheid ist als Lehrer für Politik, Sozialwissenschaften und Sport vor den Sommerferien zwar offiziell in den Ruhestand getreten, doch seine historischen Studien lassen ihm keine Ruhe. Es bleibt keine Zeit für Pausen. Röhrscheid recherchiert weiterhin intensiv das Schicksal jüdischer Familien in Willich von 1933 bis 1945.

Gemeinsam mit Stadtarchivar Udo Holzenthal will er ein Buch über die Menschen aus Anrath, Schiefbahn, Neersen und Willich veröffentlichen. Der erste gesetzte Erscheinungstermin (Frühjahr 2012) ist längst überschritten und um ein Jahr verschoben worden. „Es tritt immer mehr zutage“, sagt Röhrscheid, dessen historischen Nachforschungen mittlerweile zig Aktenordner füllen.

„Nachdem mit den beiden ersten großen Transporten im Oktober 1941 nach Litzmannstadt und im Dezember 1941 nach Riga die jüngeren Juden mit ihren Kindern deportiert worden waren, folgte ein weiterer größerer Abtransport am 25. Juli 1942 ab Düsseldorf nach Theresienstadt in Nordböhmen“, erinnert Röhrscheid an den Tag, heute vor 70 Jahren.

„Den „privilegierten“ Juden, die bis zu diesem Zeitpunkt von den Deportationen verschont geblieben waren — das waren Juden über 65 Jahre, Schwerkriegsbeschädigte, solche mit Kriegsauszeichnungen sowie Halbjuden und Juden in Mischehen — hatten die Nazis während der Wannsee-Konferenz „versprochen“, Theresienstadt sei ein Alters-Ghetto, das man weltweit vorzeigen könne“, sagt Röhrscheid.

Auch dieser dritte Jahrestag einer Deportation fördert erschütternde Einzelheiten zutage. 91, zumeist alte Juden aus dem Kreisgebiet Kempen-Krefeld, davon neun aus den vier Altgemeinden der Stadt Willich, hatten Polizei und Gestapo am 24. Juli 1942 abgeholt. In Anrath mussten sich Emmy und Sieghard Cassel, Max, Rosa und Gabriel Servos bereithalten. Die 88-jährige Sara Kaufmann sollte Schiefbahn verlassen. Die Frau war von Kindheit an gelähmt. In Willich mussten Arthur und Rosetta Lion in einen offenen Lkw steigen, der sie zunächst nach Krefeld brachte.

Von dort ging es zunächst nach Düsseldorf-Derendorf. In Aachen war der Zug an jenem Morgen gestartet. Mit fast 1000 Menschen verließen die Waggons am Mittag des 25. Juli den Bahnhof in Düsseldorf. Überlebt haben nach Röhrscheids Kenntnissen nur 61. Die Menschen starben in Theresienstadt im Ghetto, andere wurden in Vernichtungslager weitergeschickt — „belegt ist dies für Treblinka und Auschwitz“.

Emmy Cassel starb im Oktober 1942 in den zentralen Krankenstuben des Ghettos. Ihr Mann wurde im Mai 1944 nach Au-schwitz gebracht und dort ermordet. Gabriel Servos starb im September 1942 in Treblinka, Selma Kaufmann im August 1942, das Ehepaar Arthur und Rosetta Lion im Januar 1943 im Ghetto. Max Servos starb im März 1944, seine Frau Rosa am 23. Januar 1943. Erhalten ist das Formular ihrer „Todesfallanzeige“. Dort ist als Ursache handschriftlich „Herzfehler“ eingetragen worden.

Kein Willicher überlebte die Deportation vom 25. Juli 1942. Im Dezember sollen weitere Stolpersteine in Anrath, Schiefbahn und Willich zur Erinnerung an die 1941 und 1942 abtransportierten Juden verlegt werden.

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