St. Tönis: Land unter: „Höhere Gewalt“

Das sagen Abwasserbetrieb und Niersverband zu den Gründen und Folgen der Überschwemmung.

St. Tönis. Die Anwohner in Unterschelthof sind es satt: Bei jedem mittleren Regenfall steht das Gebiet unter Wasser (WZ vom 8.Juli 2009). Das Unwetter in der vergangenen Woche überflutete ihre Keller, Wohnungen, Stallungen und Felder.

Daher forderten sie in einem Bürgerantrag an die Stadt Tönisvorst Nachbesserungen. Und auch die Schadensregulierung steht ganz oben auf der Liste der Fragen, die die Betroffenen an die Stadt richten.

"Da müssen wir erstmal die Zuständigkeiten klären", sagt Jörg Friedenberg, zuständig für den städtischen Abwasserbetrieb. Denn in der Pumpstation kommt zwar das Tönisvorster Abwasser an, aber Betreiber der Anlage ist der Niersverband. Und für den Fliethgraben wiederum, der nach dem Unwetter übergelaufen war, ist der Wasser- und Bodenverband der Mittleren Niers verantwortlich.

Die drei Beteiligten haben bereits erste Gespräche geführt, um zu prüfen, was verbessert werden kann. Allerdings sieht es für die Anwohner schlecht aus. Das Unwetter sei "höhere Gewalt", sind sich die Zuständigen einig.

"Rein statistisch gesehen kommt ein Regenereignis dieser Intensität seltener als einmal in hundert Jahren in dieser Gegend vor - eher alle 500 Jahre", sagt Joachim Reichert vom Niersverband. "Keine Abwasseranlage Deutschlands, sogar Europas kann auf so eine Intensität ausgelegt werden." 400 Liter Regen pro Sekunde und Hektar seien gefallen - mehr als sonst in einem Monat runterkommt. "Darauf kann kein Kanalnetz und keine Anlage ausgelegt werden", sagt auch Friedenberg.

"Das sind ganz gewaltige Größenordnungen, die übersteigen die Aufnahmefähigkeit der Gullys und Kanäle. Wir haben mit der Pumpstation alles ableiten können, so dass es keinen Rückstau in die Stadt gegeben hat", sagt Reichert. "Sonst wäre die Stadt großflächig abgetaucht." Das zuvor leere Becken, das mit einef Fläche von 5.000 Quadratmetern fünf Millionen Liter fasst, sei bei dem Starkregen schnell voll- und übergelaufen.

War es eine Fehlplanung? Die Zuständigen verneinen, allerdings basieren die Bemessungswerte für Pumpanlage und Becken auf langfristigen Untersuchungen noch aus einer Zeit, in der der Klimawandel noch nicht so akut war. Da mit einer Zunahme von Starkregen in der Region zu rechnen ist, so Reichert, bestehe dennoch Handlungsbedarf.

Er sieht eine mögliche Lösung des Problems darin, den Fliethgraben aufnahmefähiger zu machen. Durch Renaturierung des Gewässers könnte der mehr Wasser aufnehmen. Auch sei es sinnvoll, mehr Rückhalteflächen zu schaffen, der Niersverband stehe bereits mit einigen Landwirten in Verhandlungen. "Das ist wichtiger als noch ein großes Becken als Rückhalt zu bauen, das jahrzehntelang leer steht und viel teurer ist."

"Bei diesem Regenereignis hilft alles nichts. Da könnten wir den Fliethbach doppelt so groß machen - es hätte nichts gebracht", ist sich Jörg Langer vom Wasser- und Bodenverband der Mittleren Niers sicher. Da die Anwohner von Unterschelthof kritisieren, dass schon bei mittelstarken Regenfällen der Fliethgraben benötigt wird, will er nun prüfen, wo die Belastungsgrenze des Grabens liegt.

Allerdings warnt er vor übereiltem Aktionismus: "Wenn wir da Abhilfe schaffen, müssen wir gucken, wo das Wasser dann hingeht." Dafür sind neue Messungen des Geländes nötig. Bis Pläne für eine Änderung gefasst und in die Praxis umgesetzt werden, wird noch viel Wasser den Fliethgraben entlang fließen.

Den Betroffenen rät Langner zum verstärkten Selbstschutz: tief liegende Eingänge abdichten lassen, Zuläufe schließen, Bodenwellen anlegen und Sandsäcke für den Notfall bereithalten. "Bei diesem hätte das allerdings auch nichts gebracht", sagt Langner. Ein Sachverständiger soll vor Ort den Unterschelthof-Anwohnern Schwachpunkte auf ihren Grundstücken aufzeigen und sie beraten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort