Mauerfall vor 30 Jahren Abgeordneter aus Chemnitz berichtet aus dem DDR-Leben

Willich. · Im Saal Krücken lauschten die Besucher dem Vortrag.

 „30 Jahre Mauerfall“ lautetet das Motto des Abends. Die Gäste tauchten in die Geschichte der DDR ein.

„30 Jahre Mauerfall“ lautetet das Motto des Abends. Die Gäste tauchten in die Geschichte der DDR ein.

Foto: Norbert Prümen (nop)

Der Bundestagsabgeordnete Uwe Schiefner hatte eingeladen, und der Raum in der Gaststätte Krücken war komplett besetzt. Besonders interessant: die Schilderungen und Einschätzungen des Bundestagsabgeordneten Detlef Müller aus Chemnitz. Der 55-Jährige zog, auf den Tag genau 50 Jahre nach dem Mauerfall, eine positive Bilanz: „Das Deutschland im Jahr 2019 ist das beste Deutschland aller Zeiten, obwohl nicht alles Gold ist, was glänzt.“ Was er beklagt: „In den Schulen muss in stärkerem Maße vermittelt werden, wie die Demokratie funktioniert und was für ein tolles Land Deutschland ist.“

Müller, gelernter Lokomotivführer, „verheiratet, vier Kinder, ein Hund und ein großes Aquarium“, verriet, was aus seiner Sicht den real existierenden Arbeiter- und Bauernstaat zunehmend in eine Schieflage geraten ließ: „Das ging los mit der Ausbürgerung von Wolf Biermann, damit wurde ein Erdbeben innerhalb der Künstlerszene ausgelöst, Leute wie Nina Hagen, Armin Mueller-Stahl und Manfred Krug verließen das Land, sie wurden fortan totgeschwiegen.“

Gut zehn Jahre später, am 17. Januar 1988, dann eine weitere Zäsur: Auf der Demo zu Ehren von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wurden Plakate enthüllt mit einem Zitat Luxemburgs: „Freiheit ist immer auch die Freiheit der anderen.“

Ein weiteres markantes Datum, ein weiterer Sargnagel für die SED-Diktatur: Die Einstellung der Zeitung „Sputnik“ – sie enthielt Übersetzungen von Texten aus der Sowjetpresse zu Zeiten der Perestroika. Dann, im März 1989 schließlich die Kommunalwahlen. „Man bezeichnete sie als Zettelfalten“, und jeder wusste, dass das Wahlergebnis von 99,8 Prozent nicht stimmte.“

Die Proteste, so Müller, nahmen ihren Anfang nicht in Leipzig, sondern in Plauen. Detlef Müller erzählte, wie die Meinungen in vielen Familien auseinandergingen – auch in seiner eigenen: „Für meine Mutter, die sehr regimetreu war, war die ,chinesische Lösung’ als Antwort auf die Proteste eine Option.“ Die Eltern seien heute aber nicht verbittert, sie seien viel gereist.

Die Stasi sei allgegenwärtig gewesen. Selbst über den Lokomotivführer hatte sie Erkundigungen eingeholt und Ergebnisse wie dieses in den Akten festgehalten: „Der D. ist regelmäßig zu Hause und bringt älteren Frauen die Kohlen aus dem Keller.“ „Ich bin kein Jammerer“, erklärte Müller, der als Basketballspieler nach der Wende festgestellt hat, dass so manche Sporthalle in den neuen Bundesländern in wesentlich besserem Zustand ist als in der ehemaligen DDR. „Die Treuhand hat das gemacht, was sie machen musste“, sagte der 55-Jährige rückblickend und ohne Zorn.

Die Zuweisung von Flüchtlingen 2015 habe zu einer Krise der öffentlichen Verwaltung geführt: „Man merkte, dass der Staat nicht alles regeln kann, das führte zum Vertrauensverlust. Wir waren in der DDR gewohnt, dass der Staat alles regelt. Die AfD sagt den Menschen, was sie hören wollen, zum Beispiel über den Klimawandel.“

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