Sommerfestspiele Neersen Ein gebrochener Wildfang

Neersen · Die österreichische Schauspielerin Christ Pichler verlieh der "Sissi"-Figur in ihrer Solodarbietung im Ratssaal des Neersener Schlosses Verletzlichkeit, Charme und Tiefe.

 Chris Pichler sorgte in ihrer Rolle als Sissi im Ratssaal des Neersener Schlosses für stehende Ovationen.

Chris Pichler sorgte in ihrer Rolle als Sissi im Ratssaal des Neersener Schlosses für stehende Ovationen.

Foto: Alexander Florié-Albrecht

Die Figur der Elisabeth von Österreich hat bis heute etwas Faszinierendes, was die Menschen noch immer bewegt. Die „Sissi-Filme“ mit der unvergessenen Romy Schneider prägten das Bild der jungenhaften Kaiserin, die allein durch ihren Charme Völker verzaubern kann, ein gutes Stück mit.

Dass die historische Figur neben ihren Charme aber wesentlich mehr Facetten aufzeigt, als es die Oberfläche eines Filmes andeuten kann, bewies die Schauspielerin Chris Pichler mit ihrer Performance im Neersener Ratssaal.

Schlossfestspiel-Intendant Jan Bodinus war die Vorfreude auf die bevorstehende Darbietung des Kammerspiels „Sissi – Kaiserin der Herzen“ anzumerken. „Als ich das vor circa vier Jahren in Berlin gesehen habe, habe ich mir gedacht, das wäre doch was für uns“, leitete er bei der Begrüßung nach einigen zufriedenen Worten über die in dieser Woche endende Sommerfestspielzeit auf die Darbietung von Chris Pichler über.

Pichler war bereits mit ihrer Interpretation von Romy Schneider bei den Schlossfestspiele zu sehen gewesen und hatte schon mit dieser Darstellung für Begeisterung gesorgt. Am Ende der insgesamt achtzigminütige Aufführung - unterbrochen von einer Pause - stand das Publikum auf und würdigte die Schauspielerin mit Standing Ovations. Zuvor hatte die 52-jährige die ganze Palette an Charakterzügen herausgearbeitet, die in der Persönlichkeit der Kaiserin verborgen sind.

Zu Beginn trat sie im großem, unschuldigem weißen Hochzeitskleid auf, zwischenzeitlich herumhüpfend, singend: ein Wildfang voller naiver Verliebtheit und Euphorie im Angesicht der bevorstehenden Vermählung mit Franz Ferdinand – in der Erwartung, „ihn glücklich zu machen“ und voller Demut, als einfaches bayrisches Maderl auserkoren zu sein. Immerhin ist die zukünftige Kaiserin zum Zeitpunkt der Hochzeit noch nicht einmal 16 Jahre alt.

Doch schon hier offenbart sich die ganze Tragik des Lebens der Kaiserin. „Es ist so erschreckend schön“, entfährt es ihr. Damit setzt Pichler den Grundton, der sich durch die gesamte Darstellung zieht - im virtuellen Dialog mal mit dem Kaiser, dem Grafen Andrassy, dem Publikum, mal im Ringen mit sich allein.

Selbst für die Übergabe der Braut an den Bräutigam durch die Tante Sophie gibt es einen genauen Ablauf.  Während der Hochzeitsnacht fühlt sie sich nicht wohl, dauerhaft beobachtet. „Ich wollte mit ihm allein sein, aber es war mir unerträglich.“

Ein Leben in Unfreiheit
und im Protokoll

Sie hat nichts zu tun, so dass sie ohne Kleid zum Hanteltraining antritt, um ihr Gewicht zu halten. Sie wird zurückgewiesen, wenn er in seinem Büro arbeitet. „Ein Kaiser ist ein vielbeschäftigter Mann.“ Alles verläuft „nur nach Protokoll“, klagt sie und spürt die Sehnsucht nach der Heimat und den Geschwistern. „Du Freiheit, hast Dich abgewandt. Aufgewacht aus einem Rausch, der mich gefangen hält.“

Diesen Konflikt aus Freiheitswille und dem Eingezwängtsein in der Etikette des Hofes und seiner Regeln, die zunehmende Entfremdung vom eigenen Ehemann und der Entzug der eigenen Kinder, den spiegelte Pichler in ihrem Spiel exzellent wieder. „Ich wünsche mir einen Affen, aber am liebsten ein Narrenhaus“, sagt Sissi in einer Szene. Sie erkennt: „Liebe kann alles, aber sie ist nicht genug.“ Ihr Franz liebt sie, aber das zu leben, das gelingt nicht.

Dabei zeichnete Pichler anschaulich verschiedene Lebensstationen nach - wie die Kur aufgrund einer möglichen Lungenkrankheit auf Madeira, die Vorliebe am Reiten und am Reisen, das liberale Denken, was sich im englischen Gesang oder der persönliche Verbindung zu dem ungarischen Grafen Andrassy im vertrauten Gespräch abbildet.

Hier wird ihr klar: „Meine Schönheit ist meine Bürde - die Menschen können den Menschen dahinter nicht sehen.“ Und auch die Wut auf sich selbst, die machte Pichler sichtbar in „der Hülle ohne Macht“, wie sie es  beschreibt. „Man kann nicht vor sich selbst davonlaufen, denn man läuft immer mit. Die einzige Macht ist mein eiserner Wille.“

Und erkennbar wurde auch die wachsende Bitterkeit des Einsamen im Angesicht des „verliebten Truthahns“ Franz, der die Bekanntschaft 20 Jahre jüngeren Schauspielerin Katharina Schratt pflegt. Obwohl sie den Kontakt selbst vermittelt hat.

Komödiantisch wurde es, als Pichler die Zofe der Kaiserin gab, die im besten wienerischen Akzent aus dem Nähkästchen der verschiedenen Beziehungen plauderte. Fast brachial geriet dagegen die Szene, als Sissi den Verlust ihres geliebten Sohnes Rudolf beweint, ihn ob des Selbstmordes beschimpft, schreit, in sich zusammenfällt. Die intensivste Szene eines großartigen Schauspielabends.

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