Schüler reisen an den Ort der Vernichtung

Auschwitz ist das Ziel von Gymnasiasten aus Tönisvorst.

Schüler reisen an den Ort der Vernichtung
Foto: Kurt Lübke

St. Tönis. Vernichtung. Ein unbarmherziges Wort. Da bricht sich Geringschätzung Bahn, die schwer zu ertragen ist. Nichts, gar nichts soll mehr übrig sein, wenn der Vorgang abgeschlossen ist. Wer ein vernichtendes Urteil fällt, lässt keinen Platz für Hoffnungsvolles. Das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau war ein Vernichtungslager. Vor 70 Jahren haben Soldaten der Roten Armee die Insassen des Lagers befreit. Bis heute steht der Ort wie kaum ein anderer für Tod, Grausamkeit, systematische Vernichtung von 1,1 Millionen Juden allein dort.

Auschwitz ist das Ziel von jungen Michael-Ende-Schülern. Es sind neun Mädchen und fünf Jungen, alle um die 17 Jahre alt. Am 12. Februar brechen sie zu einer viertägigen Reise nach Polen auf, um sich einer verantwortungsvollen Erinnerung zu stellen. David Wirth, 37, Lehrer für Geschichte und Philosophie, und seine Kollegin Nicole De Bruyn, Lehrerin für Französisch und Sozialwissenschaften, begleiten sie. Es ist die zweite Fahrt von Schülern des Tönisvorster Gymnasiums, ein weiterer Baustein „in der Erinnerungskultur, die bei uns großgeschrieben wird“, sagt Wirth.

Es sind Oberstufenschüler der Q2, die vor ihrem Abitur stehen und sich wenige Tage vor ihren Vor-Abi-Klausuren aufmachen. Die meisten von ihnen haben Geschichte Leistungskurs gewählt. Allen gemeinsam ist, sagt Wirth, ein „spürbares hohes politisches Verantwortungsgefühl“. Die Schüler haben sich freiwillig gemeldet. Obwohl die Stiftung „Erinnern ermöglichen“, die an die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf angelagert ist, und der schuleigene Förderverein die Fahrt sponsern, müssen die Schüler etwa 40 Prozent der Reisekosten selbst aufbringen.

Die Stiftung will das Herz anrühren — und das Gewissen. Sie fördert die Auseinandersetzung mit dem Holocaust — in Auschwitz, weil „dieser Ort für die Menschenverachtung des Nationalsozialismus steht“.

„Die Dimension ist nicht erklärbar“, sagt Wirth. Er weiß, welche Wucht an Emotionen, an Verzweiflung, auch an Schuldgefühlen seine Schüler vor Ort treffen wird. Er war 16 Jahre jung, als er zum ersten Mal ein Konzentrationslager besuchte. „Ich war vorbereitet. Ich stamme aus einem Theologen-Haushalt, in dem das Thema sehr präsent war.“

Sich vier Tage lang der Grausamkeit einer systematischen Vernichtung zu stellen, der Dichte der Atmosphäre nicht entgehen zu können und die Gesprächsintensität in der Begegnung mit Zeitzeugen vor Ort auszuhalten, verlange seinen Schülern einiges ab.

Wirth ist froh, dass sie eine Reife und die ausgeprägte Bereitschaft mitbringen, sich damit auseinander zu setzen. „Es werden Fragen kommen“, weiß er aus Erfahrung der ersten Fahrt: Warum hat man sich nicht gewehrt? Hätte ich mitgemacht? Hätte ich geholfen? Trage ich Schuld? Wirth: „Man kann hinter dieser Erfahrung nicht zurücktreten.“

Die Schüler der ersten Fahrt seien geschockt gewesen, hätten dann einen ungeheuren Aktionismus an den Tag gelegt, immer wieder gefragt: Was kann ich tun? „Da war dieser unglaubliche Wille zur politischen Gestaltung, dazu, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen.“ „Tiefgreifend“ werde die Erfahrung werden, ist Wirth überzeugt. „Die jungen Leute werden in einer neuen Qualität über das Thema sprechen. Aus persönlicher Erfahrung.“ Sie werden zu denjenigen werden, die Auschwitz zu einem Ort machen, an dem der Vernichtungsgedanke letztlich nicht obsiegt, weil das Erinnern und Mahnen aus Menschlichkeit anhält.

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