Rote Wäsche, schwarze Kohle

Wenn Briten, Niederländer und Italiener ins neue Jahr feiern, haben sie ungewöhnliche Bräuche.

Willich/Tönisvorst. Aus wie vielen Fernseh-Geräten in Willich und Tönisvorst Miss Sophie heute Nacht "The same procedure as every year, James" hauchen wird, das hat noch keiner ermittelt. Fest steht aber, dass das Rudel-Gucken von "Diner for one" zu den beliebtesten Silvesterbräuchen der Deutschen landauf und landab gehört. Dazu Fondue oder Raclette, ein bisschen Bowle, um Mitternacht ein kräftiger Schluck Sekt oder zwei. Und Feuerwerk, Böller und jede Menge gute Vorsätze. Die lösen sich vielerorts aber bereits beim Katerfrühstück mit Heringssalat am späten Neujahrsnachmittag in Wohlgefallen auf.

Nur noch wenige tischen am Neujahrsmorgen die Neujahrsbrezel auf, und noch weniger Menschen wissen, dass unser Hang zu Knallerei zurückgeht auf die Rau- oder Rauchnächte der Germanen. In der Mitte dieser zwölf Nächte liegt die Neujahrsnacht, in der besonders viele Geister und Dämonen mit lautem Geräusch vertrieben werden mussten.

Dämonen vertreibt Mister Bean bestimmt nicht, wenn er als guter Brite "Auld lang syne" anstimmt. Mit diesem - aus schottischer Feder stammenden - Abschiedslied wird zum Jahreswechsel der Verstorbenen des vergangenen Jahres gedacht. Diesen britischen Neujahrsbrauch wird man in Willich sicher vereinzelt entdecken, denn die Statistik weist 109 Briten als Willicher Bürger aus.

Die aus Schottland stammende Anratherin Barbara Hehnen weiß noch von einem weiteren Brauch zu berichten: In der Neujahrsnacht beschenkt man Freunde und Nachbarn mit Shortbread (ein Mürbeteiggebäck), Salz, einem guten Getränk - und einem Stückchen Kohle. "Damit man im neuen Jahr immer etwas zu essen, zu trinken und zu heizen hat", erklärt Barbara Hehnen den großzügigen Brauch.

Den größten Anteil an ausländischer Bevölkerung in Willich machen die Türken aus, gefolgt von Niederländern und Italienern. In Tönisvorst sind die Niederländer am stärksten vertreten, es folgen Türken, Serben und ebenfalls die Italiener.

Letztere wiederum könnten den schönsten Neujahrsbrauch an den Niederrhein bringen. Nicht nur, dass die Menschen in Neapel und Florenz früher ihre alten Kleider in der Neujahrsnacht auf die Straßen warfen und das heute mit Flaschen und Böllern tun. Nein, als Zeichen der Liebe und als Glücksbringer schenkt man einander rote Unterwäsche, die dann noch in derselben Nacht ausprobiert und gegebenenfalls vom Schenkenden der Beschenkten (oder umgekehrt) wieder ausgezogen wird.

Dass uns unsere nächsten Nachbarn, die Niederländer, auch in ihren Traditionen am ähnlichsten sind, wird nicht jeder gern wahrhaben wollen. Die Niederländer haben einen Hang zu guten Vorsätzen der klassischen Art: Abnehmen und das Rauchen aufgeben sind die am weitesten verbreiteten. Früher nahm man sich traditionell vor, geliehene Gegenstände dem eigentlichen Besitzer zurück zu bringen. Andererseits wurden am Neujahrsmorgen gerne Zigarren an die männlichen Familienangehörigen verteilt.

Auch beim Essen unterscheiden sich die Niederländer nicht so großartig von Deutschen. Vor allem geht es darum, etwas Ringförmiges zu sich zu nehmen. Was uns die Neujahrsbrezel ist, ist ihnen ihr "Appelbeignet", ein Gericht aus ölgetränkten Apfelscheiben. Und auch Muzen ("Oliebollen") sind beliebt. "Die hat meine Mutter immer gemacht", erzählt Truus Sagner aus Schiefbahn. Denn alles, was weder Anfang noch Ende hat, gilt als Glück bringend.

Das neue Jahr hat definitiv einen Anfang - nämlich morgen. Und es wird auch ein Ende haben, heute in einem Jahr. Wenn es dazwischen möglichst rund ist, dann kann uns hier am Niederrhein fast gar nichts passieren.

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