Neersen: Marionetten im bösen Spiel

Auch als Puppentheater überzeugte „Der Besuch der alten Dame“ durch seine starke Dramatik.

Neersen. Ein Klassiker einmal ganz anders: "Der Besuch der alten Dame" von Friedrich Dürrenmatt sorgte am Sonntagabend als Figurentheater für einen ausverkauften Ratssaal.

So bedrückend die Inszenierung auch war - schließlich geht es darum, wie Geld Stück für Stück die Moral auffrisst - so beeindruckend war die Inszenierung durch das Hohenloher Figurentheater.

Erstaunlich, dass mit Johanna und Harald Sperlich nur insgesamt zwei Spieler den Hand- und Stabfiguren Leben einhauchten und sie zum Sprechen brachten.

Trotzdem hat ein Erfolg meistens mehrere Väter: Einer davon ist mit Sicherheit der Figurenschnitzer Günter Weinhold. Er hat den Figuren so prägnante Züge verliehen, dass sie auch von der letzten Reihe aus problemlos erkannt und unterschieden werden konnten.

Die kleine Bühne strahlte Trostlosigkeit aus, alles war Grau in Grau. Diese Kulisse passte zu der Situation, in der sich die kleine Stadt Güllen befand: Finanziell am Ende, nicht mal der Zug machte dort Halt - ein trostloses Pflaster.

Aber es gab einen Lichtschimmer am Ende des Tunnels: Der Besuch von Claire Zachanassian, ehemalige Bewohnerin von Güllen, längst unermesslich reich, wurde erwartet. Ob sie ihrer Heimatstadt aus der Klemme helfen würde?

Die hagere Frau, die wegen des vielen Schmucks wie ein Christbaum funkelte, machte aus ihrem Charakter keinen Hehl. "Du bist dick geworden, alt, grau und versoffen", warf sie ihrem früheren Liebhaber Alfred Ill an den Kopf. Wer Geld hat, kann sich Höflichkeitsfloskeln sparen.

Herrlich, wie sich die Münder der Kinder, die der alten Dame zu Ehren sangen, bewegten. Doch solche heiteren Momente blieben selten. Die bedrückende Dramatik begann, als Claire Klartext sprach: Eine Milliarde würde der Ort von ihr bekommen, wenn Alfred Ill, der ihr einst Schande angetan hatte, getötet würde.

Das Hohenloher Figurentheater schaffte es, deutlich zu machen, wie sich die Schlinge um den Hals des späteren Opfers immer enger zusammenzog und wie unglaublich indifferent sich alle im Ort, selbst der Pfarrer, ihm gegenüber benahmen. "Lieber arm als blutbefleckt": Auch der Bürgermeister sollte seine moralischen Ansprüche nicht lange aufrecht erhalten.

Alfred Ill, eine ärmliche Existenz, gelangte schließlich zu der Überzeugung, Schuld auf sich geladen zu haben und dafür büßen zu müssen. Die Gemeindeversammlung war ein Gericht, das sein Todesurteil fällte.

Wer Ill letztlich erwürgte, blieb ungewiss. Auf Capri sollte Ill begraben werden. Das hatte seine frühere Geliebte ihm zugesagt.

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