„Mensch und Stadt“: Heimatbund St. Tönis Ein „Stammdösch“ wie aus einer anderen Zeit

St. Tönis. · Wenn der Heimatbund St. Tönis „platt kallt“, herrscht eine ganz besondere Atmosphäre.

 Beim „Stammdösch-Vertäll“ im Heimathaus Antonius sind die Themen bunt gemischt.

Beim „Stammdösch-Vertäll“ im Heimathaus Antonius sind die Themen bunt gemischt.

Foto: Wolfgang Kaiser

Irgendetwas ist anders. Die Atmosphäre ist lockerer. Die Leute sind lustiger. Jeder wird geduzt, man foppt sich gegenseitig, und es wird viel miteinander gelacht. Liegt es an dem Ambiente des Heimathauses, das mit seiner Rixen-Alt-Werbung über der Theke an eine kleine, urige Kneipe erinnert, in der man sich sofort wohlfühlt? Oder liegt es daran, dass die meisten Leute hier sich schon ewig kennen?

Mag sein, aber vor allem liegt es wohl an der Sprache. Im Heimathaus wird an diesem Abend „platt gekallt“, und das ist für die Besucher die Sprache einer anderen Zeit. Einer Zeit, als St. Tönis wirklich noch ein Dorf war, in dem jeder jeden kannte und in der die 14 Gäste, die sich zum „Stammdösch-Vertäll“, wie der Abend überschreiben ist, eingefunden haben, noch Kinder waren. Ihre Welt war groß, alles schien möglich, die Verantwortung eines Erwachsenen und die Last des Alters waren noch sehr weit weg. Die Sprache hat das Gefühl dieser Zeit konserviert, und wenn man sie spricht, ist auch etwas von diesem Lebensgefühl wieder da.

Mehrmals im Jahr bietet der Heimatbund St. Tönis den Stammdösch-Vertäll im Vereinshaus an der Antoniusstraße an, und es werden immer mehr St. Töniser, die daran teilnehmen. Fred Schwirtz ist heute zum ersten Mal gekommen. „Ich hab früher mit mein Pap platt gekallt. Jetzt hab ich keinen mehr, mit dem ich das sprechen kann, und das vermisse ich“, sagt der pensionierte Feuerwehrmann und stürzt sich mit Begeisterung in die Gespräche rechts und links von ihm.

Es ist ein wilder Themenmix, der auf den Tisch kommt. Es geht um den Sport im Ort, um alte Biersorten, die früher in St. Tönis gebraut wurden, um Verwandtschaftsverhältnisse im Allgemeinen und im Besonderen. Was auffällt: Über Politik, das klassische Stammtisch-Thema, wird nicht gesprochen. „Wir reden eher über früher“, sagt Peter Steppen, Vorsitzender des Heimatbundes, „wie das Leben war im Dorf, wo welche Geschäfte waren und solche Sachen.“

Udo Beckmann kann da nicht immer mitreden, und er versteht sprachlich auch nicht alles. „Aber ich komme trotzdem gerne hierher und lerne jedes Mal etwa Neues hinzu“, sagt Beckmann, der im Münsterland aufgewachsen ist. Horst Drießen hingegen ist in den Themen drin. Der St. Töniser hat viele Jahre Handball im Ort gespielt und ist immer noch bei der Turnerschaft aktiv. Dadurch kennt er viele Leute und viele Geschichten. „Ich komme gerne zum Stammtisch. Das ist die einzige Möglichkeit, noch platt zu sprechen“, sagt der Senior.

Tatsächlich würden die, die Mundart sprechen, immer weniger, weiß Ulli Triebels vom Heimatbund. „Deshalb haben wir ja auch den Stammtisch ins Leben gerufen: Hier kann jeder nach Herzenslust platt kalle, mitreden, alte Geschichten erzählen oder einfach nur zuhören“, sagt Triebels. Auch für Zugezogene, die die Grundlagen der Mundart lernen möchten, sei der Stammtisch genau das Richtige.

Wer den Stammdösch-Vertäll besuchen möchte, muss sich noch etwas gedulden. Der nächste Termin ist der 14. Mai. Auch am 17. September und am 19. November lädt der Heimatbund zum Mundart-Stammtisch ein. Los geht es immer um 18 Uhr im Heimathaus, Antoniusstraße 6, St. Tönis.

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