Bäckereifachverkäufer aus St. Tönis ist Jahrgangsbester Der weite Weg zum Jahrgangsbesten

Tönisvorst. · Der einstige Flüchtling Mamadou Bachirou Diallo ist heute jahrgangsbester Bäckereifachverkäufer.

 Mamadou Bachirou Diallo bleibt in der St. Töniser Bäckerei Steeg. Er wurde nach seinem Ausbildungsende übernommen.

Mamadou Bachirou Diallo bleibt in der St. Töniser Bäckerei Steeg. Er wurde nach seinem Ausbildungsende übernommen.

Foto: Stephanie Wickerath

Fünf harte Jahre seien es gewesen, sagt Mamadou Bachirou Diallo, aber jetzt, mit den Zeugnissen und Urkunden in der Hand, wisse er, wofür es das alles auf sich genommen habe. Vor genau fünf Jahren kam der junge Mann aus Guinea in Westafrika nach Tönisvorst. 20 Jahre alt war er damals gerade geworden, und er hatte nichts, außer seiner Geburtsurkunde und der Kleidung, die er trug. Das Päckchen, das er im Inneren trug, wog dafür umso schwerer.

Geboren wurde Mamadou Diallo in Guinea, mit zehn Jahren schickten die Eltern ihn zu einem Onkel in den Senegal. „Als ich 15 Jahre alt war, starben meine Eltern kurz nacheinander“, erzählt der junge Mann. Er ging zurück nach Guinea, wo er sich gemeinsam mit der Großmutter um die jüngeren Geschwister kümmerte. Erdrückt von der Last der Verantwortung und der Perspektivlosigkeit in seinem Land, beschloss er gemeinsam mit einem Freund, in der Ferne das Glück zu suchen und Geld für die Familie zu verdienen. Europa habe dabei gar nicht auf dem Plan der Jugendlichen gestanden, berichtet er.

36 Stunden im Schlauchboot
von Libyen nach Lampedusa

Nach einer Odyssee durch Mali und Niger seien sie in Libyen gelandet, wo das Militär sie aufgegriffen und, wie Diallo erzählt, mit 100 anderen in ein Schlauchboot gesetzt habe. 36 Stunden habe die Überfahrt gedauert, die der Freund nicht überlebt habe. „Als ich in Lampedusa angekommen war, war ich fertig, total entkräftet und auf mich alleine gestellt“, berichtet der junge Mann. Vielleicht war das der Moment, in dem der Kampfgeist in Diallo erwachte. Dass er in Italien nicht habe bleiben können, sei ihm angesichts der Zustände in dem Lager, in dem er gelebt habe, schnell klar geworden. Er habe sich nach Deutschland durchgeschlagen, sei in Freiburg von einem Passanten angesprochen und zur Polizei gebracht worden.

Über Auffanglager in Dortmund und Neuss kam der junge Afrikaner im Sommer 2015 nach Vorst. „Ich habe zuerst in der Turnhalle gelebt“, erzählt er, „dort war ich der Einzige, der Französisch sprach.“ Um aus dieser „Sprachlosigkeit“ herauszukommen, wollte Diallo so schnell wie möglich Deutsch lernen. „Zur Schule durfte ich aber nicht, weil ich aus einem Land kam, das als sicher galt, aber ich habe die Kurse der Flüchtlingshilfe besucht, mir mit Büchern vieles selber beigebracht, bin zur Volkshochschule und zum Goethe-Institut gegangen.“ Die Zertifikate in seinem Ordner bescheinigen seine guten Sprachkenntnisse.

Aber Diallo war das nicht genug: „Ich wollte einen Schulabschluss haben und eine Ausbildung machen. Das sind die Schlüssel, wenn man sich etwas aufbauen will“, sagt er. 2017 schaffte er am Rhein-Maas-Berufskolleg den Hauptschulabschluss, in diesem Jahr folgte die Fachoberschulreife, für die er auch Englisch gelernt hat. Das Schulzeugnis wurde ihm kurz vor dem Abschlusszeugnis als Bäckereifachverkäufer überreicht. „Tagsüber habe ich im Geschäft gearbeitet, abends habe ich drei Stunden für den höheren Schulabschluss gelernt“, erzählt der 25-Jährige. Dass er seine Ausbildung als Jahrgangsbester abgeschlossen hat, macht ihn stolz.

Der St. Töniser Bäckermeister Stefan Steeg, bei dem Diallo gelernt hat, will ihn als Gesellen übernehmen. Für Diallo ist das ein großes Glück, denn er ist immer noch nur geduldet in Deutschland, sein Asylantrag wurde abgelehnt. „Wäre ich von Steeg nicht übernommen worden, hätte ich sechs Monate Zeit gehabt, mir etwas Neues zu suchen, dann hätte ich das Land verlassen müssen“, sagt Diallo. Darüber möchte er lieber nicht nachdenken, denn Deutschland ist zu seinem Zuhause geworden. „Ich habe hier so viele nette Menschen kennengelernt, die mir unheimlich geholfen haben, meine Freundin kommt von hier, und für mich hat sich gerade erst eine Tür geöffnet, jetzt soll es weitergehen“, sagt der 25-Jährige.

Er will sich um die Einbürgerung bemühen, einen Ausbilderschein machen und strebt eine kaufmännische Weiterbildung zum Fachwirt an. Diallo ist noch lange nicht fertig.

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