Kein Hund für einen Blinden

Um mobil zu bleiben, wünscht sich Horst Schmitz einen Blindenhund – bisher vergeblich.

Tönisvorst. Es klingelt nicht oft bei Horst Schmitz. Weder das Telefon noch an der Haustür. Die sozialen Kontakte des Mannes tendieren gegen Null. Einmal am Tag geht er ein paar Kleinigkeiten einkaufen, dann zum Mittagessen ins Antoniuszentrum, zurück auf die Couch, das war’s. Horst Schmitz ist blind. Was ihm helfen könnte, wäre ein Blindenhund. Den hat er beantragt. Doch die Krankenkasse - es handelt sich um die AOK-Rheinland - stellt sich quer.

Der Reihe nach. Vor Jahren schon merkte der heute 65-Jährige, dass seine Sehkraft nachließ. Grauer Star, lautete die Diagnose. Schmitz wurde operiert, ohne Erfolg. Es wurde immer schlechter. Der Frührentner, der nach wie vor Taxi fuhr, musste diesen Nebenerwerb aufgeben. Es dauerte nicht lange, da waren nur noch zwei Prozent Sehkraft vorhanden. Der Krefelder war mittlerweile in eine Wohnung an der Vorster Straße in St. Tönis gezogen.

Horst Schmitz stellte sein Leben um. Lernte, mit dem Blindenstock umzugehen. Der allerdings macht ihm Probleme. Weil der Mann nur schwach ausgebildete Unterarme hat, wird sein Gelenk in Mitleidenschaft gezogen, besonders, wenn er beim Schwenken fest irgendwo anstößt, was natürlich häufig vorkommt. Dennoch lernte er unter großen Schmerzen, mit dem so genannten Langstock umzugehen.

Das Problem: Schmitz schafft so nur die allernötigsten Wege. "Darum habe ich mich so auf einen Blindenhund gefreut", schildert der Rentner. Mit einem solchen Gefährten könne er selbst recht einfach Ausflüge bis nach Krefeld oder noch weiter unternehmen. Und dadurch, dass er gelernt habe, die nötigen Wege alleine zu machen, habe er sich ja auch für einen Hund qualifiziert. Außerdem befürwortete sein Arzt die Anschaffung eines Tieres.

Es kam anders. Die Krankenkasse lehnte den Antrag ab. Er könne ja die nötigsten Strecken alleine bewältigen. Deshalb sei ein Hund nicht erforderlich, argumentierte die "Gesundheitskasse" (Eigenwerbung der AOK). Das habe das Gutachten des medizinischen Dienstes ergeben. Auch den Widerspruch ihres Kunden ließ die AOK ins Leere laufen. Das Argument, Schmitz vereinsame, habe der Gutachter nicht festgestellt. Dabei ist dieser Faktor genau das, was dem Betroffenen auch bei seiner Mobilität so zu schaffen macht. "Ich kann längere Ausflüge nicht alleine machen. Auf Dauer werde ich nicht mehr mobil sein."

Was den St. Töniser zusätzlich erbost: Erst kürzlich sei er bei einem Spaziergang von einem Radfahrer angefahren worden. Dieser habe sich unerkannt aus dem Staub gemacht. "Muss es denn erst ein Auto sein?", fragt er.

Der Mann hat sich an einen Rechtsanwalt gewandt und wird wohl vor dem Sozialgericht klagen - wie es ihm die AOK in ihrem Ablehnungsbescheid bereits geraten hat. Aber das kann dauern. "Ich hoffe, ich halte so lange durch", sagt Schmitz. "Wenn das daneben geht, war’s das wohl mit meinem Leben."

Manchmal wundert man sich wirklich. Da verschreibt ein Arzt seinem klar bedürftigen Patienten einen Blindenhund. Die AOK als zuständige Krankenkasse lehnt dies ab. Und sieht sich auf der sicheren Seite. Der Gutachter des Medizinischen Dienstes habe keine zwingende Notwendigkeit für einen Hund festgestellt. Da könne man nichts machen. Eigentlich darf man gar nichts machen. Das ist die alte "Uns-sind-die-Hände-gebunden-Geschichte".

Vereinsamung des Patienten? Kein Kriterium für eine Krankenkasse, sagt die AOK. Dabei sorgt genau dieser Faktor dafür, dass der Mann seine Mobilität verliert: Er schafft nur kurze Wege, Kontakte zu halten oder zu pflegen ist dadurch nicht drin. Dadurch läuft er auf Dauer noch weniger, was schließlich dazu führt, dass er überhaupt nicht mehr mobil ist. Außerdem habe der Gutachter keinerlei Anzeichen für Vereinsamung festgestellt. Wo hat er denn nachgeguckt?

Tatsächlich steht wohl hinter dem Vorgehen der AOK das Spiel auf Zeit. Abwarten, ob der Kunde klagt. Und wenn: das dauert sowieso. So lange muss man schon mal nicht zahlen. Wie die AOK sich verhält, ist daneben, voll daneben. Das ist kalt und berechnend. So geht man mit einem Menschen nicht um.

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