Vorst Immer in Sorge, dass die Stimmung kippen könnte

Mit 88 Jahren kümmert sich Christel Tomschak aus Vorst um Flüchtlinge. Außerdem kämpft sie gegen das Vergessen des Nazi-Terrors.

Vorst: Immer in Sorge, dass die Stimmung kippen könnte
Foto: Friedhelm Reimann

Vorst. Das Wort „Engel“, bezogen auf sich selbst, passt ihr nicht. „Ich bin Kommunistin und das bleibe ich. Ich bin doch kein Wendehals.“ Und mit der Kirche will sie nichts am Hut haben. Das sagt Christel Tomschak aus Vorst. Viele kennen die 88-Jährige, weil sie sich in den vergangenen Jahren sehr engagiert hat: In der Frage der Stolperstein-Verlegung und zuletzt in der Flüchtlings-Problematik.

„Andere tun viel mehr als ich“, sagt die alte Dame bescheiden. Allerdings, sie sammelt seit geraumer Zeit Fahrräder und sorgt dafür, dass sie repariert und dann Flüchtlingen zu Verfügung gestellt werden. Wie kam es überhaupt zu dem Engagement? „Als die ersten Flüchtlinge einzogen, hatte ich dauernd die Sorge, die Stimmung könnte kippen“, erzählt Christel Tomschak. Dann tauchten die ersten Nazi-Schmierereien auf. Grund für die streitbare Dame, mit zur Demonstration aufzurufen. Und als sie dann von den beiden Geistlichen des Ortes gefragt wurde, ob sie nicht auf der Kundgebung reden wollte, sagte sie zu.

Mit Auftritten vor Publikum hat die Vorsterin kein Problem. Ihr Berufsleben lang engagierte sie sich gewerkschaftlich, arbeitete in den Betriebsräten verschiedenster Firmen mit. Nach Auskunft des DGB war sie seinerzeit die jüngste gewählte Betriebsrätin Deutschlands. Als solche lernte sie auch bald kennen, was es bedeutet, verfolgt zu werden. „Immer wieder kam es vor, dass mich der Verfassungsschutz abholte und meine Wohnung durchsuchen wollte“, erzählt sie.

Überhaupt kann sie Geschichten aus einer nicht verarbeiteten Zeit des Nachkriegs erzählen. Mehrfach stand sie vor Gericht. Zuletzt, weil sie an einer Präsidiumssitzung der deutschen Arbeiterkonferenz teilgenommen hatte. „Da wurde behauptet, das sei illegal“, erinnert sie sich. Das Ganze endete in einem Freispruch. Jahre zuvor war sie verurteilt worden. Sie habe für die verbotene KPD gearbeitet und Informationen in die Ostzone gegeben. Neun Monate auf Bewährung. Auch ihr vehementer Widerstand gegen die Re-Militarisierung führte dazu, dass sie vor dem Kadi landete.

Diese Erfahrungen prägten. Und führten dazu, dass die Frau sich einmischte. Nach einer Gedenkfeier auf dem jüdischen Friedhof sprach sie den damaligen Bürgermeister Albert Schwarz an. „Sie haben vergessen, an die Opfer politischer Verfolgung zu erinnern“, schrieb sie dem Bürgermeister ins Stammbuch. Auf der Rückfahrt in den Ort nahm Peter Joppen (CDU) sie mit. Ließ sie erzählen.

Die Sache entwickelte sich, die Initiative zur Verlegung der Stolpersteine wurde gegründet. „Wir sind uns mit Rücksicht und Toleranz begegnet, auf Augenhöhe“, erinnert sich Christel Tomschak. Ein Misstrauen habe sie nie gespürt. Im Gegenteil: Die Begegnung mit den Schülern des Ende-Gymnasiums und ihrem Geschichtslehrer „war toll, großartig.“ Der Rest ist bekannt: Die Stolpersteine in Vorst liegen.

Dann kamen die Flüchtlinge. Und mit ihnen die Ressentiments. „Da müssen wir gegenhalten. Die Rechten haben hier nichts verloren“, plädiert Tomschak. Sie sieht ihre Aufgabe auch darin zu argumentieren, die Stimmung aufrechtzuerhalten. Und obwohl der Vergleich angesichts ihrer Körpergröße hinkt: Wie ein Fels in der Brandung, oder eben ein Engel. Obwohl sie mit der Kirche und dem Glauben nichts am Hut hat, zitierte sie bei ihrer Rede auf der anfangs geschilderten Demo aus der Enzyklika von Papst Franziskus: „Diese Wirtschaft tötet.“

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