Herr Otto und seine Kiste: Ein Poet aus Schiefbahn

Mit 88 Jahren ist der Schiefbahner Poet Wilhelm Otto ständig auf Lese-Tournee.

Herr Otto und seine Kiste: Ein Poet aus Schiefbahn
Foto: Kurt Lübke

Schiefbahn. Es ist eng in seiner kleinen Wohnstube im Hubertusstift. Inmitten von zusammengebauten Modellen alter Postkutschen, Schiffe oder einer Schwebebahn packt Wilhelm Otto gerade in seine „Allerweltkiste“ die Geschichten und Gedichte, die er am Nachmittag lesen wird. Und es fallen die vielen Ordner auf, in denen die Texte aber auch so manche Fanpost, sprich Dankesschreiben stecken.

Heimatdichter Wilhelm Otto wird am 5. September 89 Jahre alt. Und ist noch kein bisschen schreibmüde. „Das Schreiben hat mir selbst viel geholfen“, sagt der Poet, für den Schiefbahn, seitdem er ab 2006 dort im Hubertusstift lebt, zu seiner dritten Heimat geworden ist.

Durch die Enteignung seines Textilbetriebes in Crimmitschau im sächsischen Landkreis Zwickau kam er 1948 als Vertriebener in die Nähe von Schiefbahn, nach Mönchengladbach, lebte dort viele Jahrzehnte mit seiner Ehefrau, arbeitete als Bezirksdirektor für eine Versicherung.

Als seine Gattin, mit der er über 52 Jahre verheiratet war, 2002 starb, fiel der mittlerweile 88-Jährige erst einmal in ein tiefes Loch, aus dem er mühsam wieder herauskam. „Irgendwann bin ich wieder normal geworden, der Glaube und auch die niedergeschriebenen Erinnerungen haben mir dabei sehr geholfen“, sagt der Heimatdichter, der früher ein begeisterter Tennis- und Eishockeyspieler war.

„Hier ist eine wunderschöne Atmosphäre“, meint der Literat. Schon als Kind und Jugendlicher habe er bei Familienfeiern Anekdötchen sowie Gedichte sowie lustige als auch hintersinnige Geschichten geschrieben. Dies habe er kontinuierlich fortgesetzt, wobei Wilhelm Otto nicht nur seine Erinnerungen skizziert, sondern auch Wahrzeichen, Straßen und Plätze oder Dinge des alltäglichen Lebens zum Leben erweckt. So brachte er in den 90er Jahren sein erstes Buch „Ein Hundertmarkschein erinnert sich“ heraus.

In Schiefbahn so richtig angekommen, ließ Wilhelm Otto unter anderem auch den Kirchturm von St. Hubertus erzählen, was ihm aus der luftigen Höhe im Laufe der Zeit aufgefallen war. Oder er lässt neben seinen Gedichten — für die „Allererste Schneeflocke“ gab es 1993 sogar eine Auszeichnung der damaligen Bundesministerin für Familie und Senioren — Kacheltische, Stühle, Tannenbäume oder die Skulptur „Dorfgespräch“ berichten, was ihnen passiert sein könnte.

Mittlerweile hat er Kontakt zu 38 Seniorenrichtungen oder Cafés, auch in der benachbarten Umgebung. In diesem Jahr gibt es bereits 19 feste Buchungen. Seit einigen Jahren wird Wilhelm Otto dabei von Frank Scholzen am Piano begleitet. Zu seinen Fans gehören auch andere Künstler oder sogar bei einer Stippvisite vor einiger Zeit Bischof Klaus Hemmerle.

Und seine „Fanpost“ kann sich sehen lassen. Ein Pflegeheim aus Gladbach schrieb kürzlich : „Alle Achtung, wie ein Herr Ihres Alter noch so munter, unternehmenslustig, schlagfertig, besinnlich und scharfäugig sein kann.“ Besonders in Erinnerung ist Wilhelm Otto ein Kommentar einer Dame, die zum zweiten Mal an einer Lesung dabei war, sie sagte hinterher: „Durch ihre Gedichte habe ich mir zum ersten Mal selbst meine Gedanken über den Herbst gemacht.“ Wie schon als Kind schreibt er immer noch für Familienfeiern oder andere Anlässe.

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