Ex-Bundestagsabgeordneter Schöler: „Ich vermisse die Streitkultur“

„Was sagen Sie zum Zustand Ihrer Partei?“ Ein Gespräch mit dem ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten aus Tönisvorst.

Ex-Bundestagsabgeordneter Schöler: „Ich vermisse die Streitkultur“
Foto: WZ-Archiv

Tönisvorst. Er ist seit 51 Jahren in der SPD. Einer, der ungeachtet des „rabenschwarzen Wahlsonntags“ am 24. September behauptet, die „SPD ist immer noch eine Volkspartei“. Eine für 20 Prozent des Wahlvolks.

Walter Schöler, Genosse seit 1966, kennt bessere Zeiten für die Sozialdemokratie in Stadt, Land und in Europa. Zwischen 1992 und 2005 war er Mitglied der Berliner Bundespolit-Riege. Heute schaut er sich die Aufs und Abs seiner Partei aus der Ferne an — von Tönisvorst aus.

Er vermisst die Streit-, besser gesagt die Diskussionskultur. Auch innerhalb seiner Partei. „Zwischen den Flügeln ging es früher hin und her.“ Zu heißen Themen habe sich die Basis ein Meinungsbild gemacht. Heute hat er den Eindruck, dass schon auf kommunaler Ebene Entscheidungsträger viel vorgeben, über das dann nur noch abgestimmt werde.

Ziel müsse es doch sein, die Menschen mehr zu sensibilisieren, mehr politisch zu interessieren. Die erhöhte Zahl der Parteieintritte seit der Stimmenauszählung am Wahlsonntag kommentiert Schöler mit gelassen-distanzierter Erfahrung: „Das gab es immer schon. Die Willy-Welle beispielsweise. Als ich in die Partei eintrat, lag die Zahl der Mitglieder im Kreis Viersen unter 1000. Während meiner Zeit als Parteivorsitzender waren es mal 2500, davon war später aber auch die Hälfte wieder weg.“

Neumitglieder müssten erst einmal sehen, welche Mitwirkungsmöglichkeiten es gebe und das Parteileben erleben.

Dreh- und Angelpunkt von Politik sei für ihn, sagt Schöler, die Frage, „wie geht es den Menschen?“ Nicht wie Angela Merkel, die nur konstatiert habe, dem Land gehe es gut. Als Beispiel nennt er das „gesunde Frühstück“ an Schulen oder die Tafeln in den Städten. Sie seien doch keine Beispiele sozialer Leistungen, sondern Beispiele für Reparaturprozesse. Weil es Menschen eben nicht gut gehe.

„Die SPD muss eine Partei sein, die sich um das soziale und gesellschaftliche Gefüge kümmert“, sagte Schöler. Die Umschreibung von der „Partei des kleinen Mannes“ schiebt er beiseite: „Wer will heute noch kleiner Mann sein?“

Die Diskussionskultur hochhalten und Möglichkeiten dafür bieten, das sieht der Tönisvorster als entscheidend an. Gar nicht so einfach in Zeiten der Reizüberflutung durch Non-Stop-Nachrichten. Da sei es wichtig, eigene Schwerpunkte herauszuarbeiten und zum Gegenstand eines Arbeitsprogramms zu machen. „Wir müssen die Menschen mitnehmen. Die kriegt man nicht mehr so einfach. Viele sind doch froh, wenn sie abends nach der Arbeit die Tür hinter sich zumachen können. Das erleben doch auch viele Sport- oder Kulturvereine.“ So säßen eben viele auf der Tribüne und guckten zu, wer was mache. „Es ist ein Unterschied, ob man auf dem Platz steht oder zuschaut.“

Menschen zur Mitarbeit bewegen, das werde komplizierter, bleibt aber in Schölers Augen entscheidend. Von Herrschaftswissen hält er im politischen Diskurs wenig. „Man muss zu Themen einen Überblick geben, um Zusammenhänge begreifbar zu machen“.

In der Bibel steht, dass auf sieben fette, sieben magere Jahre folgen. Welche hinter der SPD liegen, darauf lässt Schöler sich nicht festlegen. Aber er sagt: „Es liegen durchwachsenen Jahre vor der SPD.“ Er rät „sechs, sieben Schwerpunkte der deutschen Politik zu setzen“. Einen progammatischen Ansatz über zehn oder gar 20 Jahre hinaus in ein Programm zu fügen, gehe heutzutage nicht mehr.

Die SPD in der Opposition, damit kann Schöler sich anfreunden, auch wenn für ihn das „Gestalten das A und O“ ist, „im Sinne der Menschen“. Gleichwohl brauche es auf politischer Ebene Leute, die nachfragen können. Gerade in den letzten Jahren hätten sich SPD und CDU in ihren Grundzügen angenähert. „Man braucht aber den Widerspruch!“

Zu Andrea Nahles als Oppositionsführerin sagt Schöler: „Es geht nur im Team. Natürlich wird sie es machen. Aber in den Reihen der SPD-Fraktion ist sie nicht die Einzige, die es machen könnte.“

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