Ein Hauch Highlands am Niederrhein

WZ-Mitarbeiter mit schottischen Wurzeln berichtet vom Referendum.

Ein Hauch Highlands am Niederrhein
Foto: Gordon Worthmann

Willich/Edinburgh. „Schottland ist frei!“, ruft Mel Gibson in dem Hollywoodfilm „Braveheart“. Frei sind die Schotten tatsächlich — aber nicht unabhängig. Daran konnte jetzt auch die Volksabstimmung nichts ändern, was mich nicht unberührt ließ. Ich selbst wurde in Deutschland geboren, meine Mutter in Glasgow. Daher besitze ich auch die britische Staatsbürgerschaft und war stets stolz auf meine schottischen Wurzeln. Und genau deswegen hat das Referendum auch unsere Familie so gespalten.

Diese entstammt dem Clan der McGregors, mein Großvater war der Letzte, der diesen Titel noch als Zweitnamen trug. Ende der 60er Jahre kam er mit seinen Töchtern nach Düsseldorf, als er zur Rheinarmee versetzt wurde. Nach seiner Dienstzeit blieb die Familie in Deutschland und zog nach Willich. Als er vor einem Jahr starb, war gerade die Musikkapelle The Band of the Royal British Legion of Scotland zum Schützenfest angereist. Einer von ihnen spielte bei der Beerdigung meines Opas „Scotland the Brave“ — ein Hauch der Highlands am Niederrhein.

Wie hätte der letzte der McGregors wohl auf das Ergebnis der Abstimmung reagiert? Um dieser Frage näher zu kommen, bin ich nach Edinburgh gereist. Meine Schwester lebt schon seit Jahren wieder auf der Insel — allerdings in England, weshalb sie nicht wählen durfte. Dennoch stand sie dem Referendum positiv gegenüber. „Es bot viele Chancen, einen Wandel herbeizuführen. Weg vom elitären Westminster, wo nur in den englischen Zentralstaat investiert wird“, erklärt sie. Mein Schwager ist ein 100-prozentiger Engländer, der Schottland nicht mag und es daher begrüßt hätte, wenn die „Kelten“ die Union verlassen hätten. „Hauptsächlich deswegen, weil die sich freuen, wenn wir beim Fußball einen auf den Deckel kriegen“, sagt er.

Bei älteren Generationen sah es anders aus. Die größte Sorge meiner Mutter bestand darin, dass ein freies Schottland, das nicht zur EU gehört, sie dazu nötigen würde, eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland zu bekommen.

Meine Familie steht ohnehin genau im Trend der Statistiker, denn auch deren Befunde zeigen, dass ältere Menschen für solche Experimente weniger offen waren. Für meine Tante Annie etwa, die in Lennoxtown wohnt, wäre der Zerfall von einem Great Britain zu Little Britain ein Alptraum gewesen. Sie wählte daher auch die Befürworter der Union. Genau wie mein Großvater gehört sie einer Generation an, die noch das „Empire“ erlebt haben und in dessen Geist erzogen wurden. Für sie sei die angelsächsische Welt eine große Familie, selbst Länder wie Australien oder Kanada seien immer noch Kinder des Commonwealth.

Für junge Leute hingegen sind das Nationen wie andere auch. Dementsprechend sehen meine Geschwister und Cousins den historischen Schmelztiegel des „Empire“ nicht mehr als ausreichendes Argument, um damit das Vereinigte Königreich zu legitimieren. Am Ende war es nicht die Liebe zu England, welches die Schotten mehrheitlich „No“ wählen ließ, sondern die Angst vor einer ungewissen Zukunft.

Ich bin davon überzeugt, dass in 20, 30 Jahren Schottland unabhängig wird. Doch wie mag es dann aussehen? Diese und andere Fragen werde ich in meiner Bachelorarbeit ergründen, die über das Suchen und Finden einer neuen schottischen Identität definiert sein wird.

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