Interview mit dem Tönisvorster Kinderarzt Edwin Ackermann Masern-Spätfolgen können nach Jahren auftreten

Interview Der Tönisvorster Kinderarzt Edwin Ackermann erklärt die Impfpflicht.

 Eine Impfung gegen Masern ist seit dem 1. März Pflicht, wenn ein Kind in eine Kindertagesstätte aufgenommen werden soll.

Eine Impfung gegen Masern ist seit dem 1. März Pflicht, wenn ein Kind in eine Kindertagesstätte aufgenommen werden soll.

Foto: DAK

Herr Ackermann, seit dem 1. März gilt in Kindertagesstätten und Schulen die Impfpflicht gegen Masern. Warum hat ist ein solches Gesetz erlassen worden?

 Edwin Ackermann ist Kinderarzt in Tönisvorst.

Edwin Ackermann ist Kinderarzt in Tönisvorst.

Foto: Edwin Ackermann

Edwin Ackermann: Wir als starke Industrienation versprechen der Weltgesundheitsorganisation seit vielen Jahren, die Masern auszurotten. Das ist uns immer wieder nicht gelungen, während es Länder wie Finnland und sogar Nordkorea und Osttimor geschafft haben. Also hat man sich gedacht: Wenn es freiwillig nicht geht, müssen wir es verpflichtend machen.

Warum jetzt?

Ackermann: Wir haben immer wieder die Hürden gerissen, über Jahre hinweg. Irgendwann gab es dann so hohe Fallzahlen, dass für die politischen Gremien ein konkreter Handlungsbedarf entstand.

Wie wird die Umsetzung
der Impfpflicht im Alltag aussehen?

Ackermann: Die Umsetzung ist noch nicht ganz im Detail definiert. Die Ausführungsbestimmungen werden sich erst nach und nach ergeben. Unklar ist beispielsweise, ob die Impfpflicht in Sportvereine hinein geht. Kleine Kinder werden ungeimpft nicht in der Kita aufgenommen, und in der Schule kann es zum Schulausschluss führen, beziehungsweise wegen der bestehenden Schulpflicht wird es ein Strafgeld geben. Wie das dann konkret umgesetzt wird und welche Auswirkungen das hat, wird man sehen. Ganz spitzfindig kann man natürlich fragen, ob man sich mit der einmaligen Zahlung eines Bußgeldes quasi von der Impfpflicht freikaufen kann.

Gibt es eine Übergangsfrist?

Ackermann: Für diejenigen, die bereits eine Kita oder Schule besuchen, gilt der 31. Juli 2021. Das betrifft auch alle Mitarbeiter einer Einrichtung.

Wie wird das geprüft?

Ackermann: Das Gesundheitsamt kann nachfragen. Als Nachweis gilt der Impfpass oder eine Bescheinigung eines Arztes, dass ein seltener medizinischer Grund besteht, dass die Impfung nicht durchgeführt werden darf oder dass man die Masern bereits hatte. Eine einmal durchgemachte Masernerkrankung gilt als verlässlicher Schutz. Manche Einrichtungen verlangen über den Impfpass hinaus eine Bescheinigung des Arztes, die allerdings gebührenpflichtig ist.

Wann kann man davon sprechen, dass die Masern endgültig ausgerottet
sind?

Ackermann: Wenn die Impfquote 95 Prozent erreicht, was bedeutet, dass die Erkrankungsrate bei 80 bis 85 Fällen pro Jahr liegt.

Sind alle, die sich und/oder ihre Kinder nicht impfen lassen, aus Überzeugung dagegen?

Ackermann: Die Weltgesundheitsorganisation hat nicht Impfgegner zur globalen Bedrohung erklärt, sondern vor allem die Zauderer und Vergesser. Der Anteil der echten Impfgegnerschaft liegt in Deutschland bei drei bis fünf Prozent. 40 bis 55 Prozent denken: Ja klar, eine Impfung ist das Beste, das ich an Prävention machen kann. Der Rest sind die, die nicht überzeugt sind oder sich verunsichern lassen und die Impfung dann so lange verschieben, bis diese vergessen wird.

Wann sollte man seine
Kinder impfen lassen?

Ackermann: Ab einem Alter von neun Monaten erstmalig. Allerdings braucht man für einen stabilen Schutz zwei Impfungen, deshalb sollte die zweite Impfung bis zum Ende des zweiten Lebensjahres erfolgt sein. Etwa zehn Prozent der Menschen sind nach der ersten Impfung noch nicht ausreichend geschützt. Um nicht bei jedem testen zu müssen, ob er den Schutz hat, impft man einfach zweimal. Für die anderen 90 Prozent ist es einfach eine Erinnerung für das Immunsystem. Es gibt keine Überimpfung.

Es gibt Menschen, die sagen, dass mit Impfungen bloß Geld für die Pharmaindustrie gemacht werde.

Ackermann: Natürlich will jeder Unternehmer mit seiner Arbeit auch Geld verdienen, der Handwerker, der Bäcker, auch die pharmazeutische Industrie. Ausgangspunkt ist aber, dass Impfstoffe hergestellt werden, die den Menschen einen Nutzen bringen. Die Entwicklung und Produktion von Impfstoffen ist extrem aufwändig und unterliegt sehr hohen Sicherheitsanforderungen. Das primäre Ziel ist also der Nutzen für den einzelnen Menschen und nicht der Profit.

Wie verläuft denn eine
Masernerkrankung in der
Regel?

Ackermann: Die akute Erkrankung verläuft mit sehr hohem Fieber und starken Erkältungserscheinungen. Verbunden mit einem sehr starken Krankheitsgefühl tritt dann nach einigen Tagen mit einem erneuten Fieberanstieg ein typischer Ausschlag auf. Der normale Krankheitsverlauf dauert in der Regel zwei Wochen. Die Masern sind eine schlimme Erkrankung und können mit verschiedenen Komplikationen einhergehen. Häufig treten Lungenentzündungen auf. Jeder 1000. Erkrankte laboriert an einer Hirnentzündung. Zudem schädigen die Masernviren die Lymphozyten, wodurch es eine erhöhte Sterblichkeit bei späteren Krankheiten durch bakterielle Zusatzinfektionen gibt. Wie bei den Windpocken mit der Gürtelrose kann es bei Masern zu einer Zweiterkrankung kommen: subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE). Die kann nach Jahren auftreten und führt unweigerlich zum Tod. Der Prozess verläuft ähnlich wie bei einer Demenzerkrankung. Es ist eine leider weit verbreitete Fehleinschätzung, dass man durch eine durchgemachte Masernerkrankung später gesünder ist.

Haben kleine Kinder einen natürlichen Schutz gegen Ansteckungen?

Ackermann: Der sogenannte Nestschutz durch die weitergegebenen Antikörper der Mutter ist sicherlich für eine Zeit belastbar. Nach circa sechs Monaten verschwindet er allerdings schon. Darum gibt es Kollegen, die aus Sorge um ihre sehr jungen Patienten keine Impfgegner mehr behandeln. Es gab Fälle, in denen Kinder im Wartezimmer andere Kinder, die noch nicht geimpft werden konnten, angesteckt haben.

Welche Auswirkungen wird das nun geltende Gesetz zur Masern-Impflicht Ihrer Meinung nach haben?

Ackermann: Zunächst einmal hoffen wir, dass sich damit die Zahl der Geimpften deutlich anheben lassen wird. Es darf aber nicht dazu führen, dass mit dem starken Augenmerk auf die Masern andere ebenfalls wichtige Impfungen weniger beachtet werden. Inwiefern es zu Konflikten im Rahmen der Durchsetzung dieses Gesetzes kommen
wird, das muss abgewartet werden. emy

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