"Der Blaue Engel" im Forum Corneliusfeld: Film noch übertroffen

Der Stadtkulturbund läutete seine Spielzeit mit der Theater-Version eines Klassikers der Leinwand ein.

St. Tönis. In Strapsen und Zylinder sitzt sie auf einem blanken Holzfass. Verführerisch zieht sie ihr linkes Bein heran und schaut mit posierter Gleichmut über ihre linke Schulter. Dann ein Zwinkern und die vollen Lippen weiten sich. „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, singt der laszive Vamp, der zur Ikone wurde. Es ist die legendäre Szene aus der Verfilmung zu Heinrich Manns Bestsellers „Professor Unrat“. Im Forum Corneliusfeld kam das Drama auf die Bühne.

Heinrich Mann erzählt die Geschichte des ländlichen Gymnasiallehrers Professor Immanuel Rath, von seinen Schülern als Unrat verspottet. Dem autoritären Biedermann reicht es nicht, nur seine Mündel in der Schulbank zu quälen, sondern er ist auch pedantisch darauf bedacht, den Buben sündhafte Verfehlungen nachzuweisen.

So entdeckt er, dass die Pennäler sich abends in dem Varieté „Der blaue Engel“ vergnügen, wo die Sängerin Lola Lola allen Männern den Kopf verdreht. Doch statt seine Schüler dort in flagranti zu ertappen, erliegt er selbst dem Bann der jungen Frau. Mit Haut und Haar verschreibt er sich ihr, und merkt nicht, wie die Femme fatale ihn und seine Existenz langsam zugrunde richtet.

Um es klar zu sagen: Die Aufführung hatte nicht den Charme des Films — sie hat ihn übertroffen. Gewürzt vor allem durch Anleihen aus dem Roman, die es nicht in die Verfilmung geschafft haben, sowie der Originalmusik von Friedrich Holländer. Versiert weiß das Stück dabei die Brücke zwischen Vorlage und Neufassung zu schlagen.

Als Beispiel seien die beiden Hauptdarsteller genannt, die in große Fußstapfen zu treten hatten. Anders als im Film wird der von Gerd Silberbauer verkörperte Professor (Un)Rath als weitaus offensiverer Patriarch dargestellt, der scheinbar alle Geheimnisse des Lebens kennt.

Auch mit Stefanie Mendoni als sexy Lola Lola hat Regisseur Frank Matthus eine gute Wahl getroffen. Mit ihrer Interpretation einer modernen Lolita trifft sie das heutige Schönheitsideal mehr als jenes, das in den 20er Jahre geherrscht hat.

Obwohl damals angesiedelt, lotet die Inszenierung die Nischen von Manns Literatur aus und fügt neue Facetten hinzu. Mit zynischen Kabarett- und Musikeinlagen, aber auch zum Teil kafkaesken Abgründen wird die eigentliche Unsicherheit von Professor Rath im Kontrast zur bunten, kalten Welt des Varietés beleuchtet. Am Ende steht ein tragisches Schicksal, bei dem das Innerste eines Menschen Stück für Stück nach außen gekehrt wird — zur Belustigung seiner Mitmenschen.

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