Wie kindliche Leichtigkeit Flüchtlingen in Schulen hilft

Etwa 50 Kinder in Nettetals Schulen stammen aus Flüchtlingsfamilien. Was Erwachsene oft problematisieren, interessiert im Klassenraum kaum.

Nettetal. Immer wieder tippt sich das Mädchen mit dem Zeigefinger mitten ins Gesicht: „Das ist meine Nase“, sagt die Schülerin und kichert. Der Junge neben ihr, der kein Wort Deutsch kann, versucht, den Satz nachzusprechen — und kichert auch. „Kinder helfen sich auf wunderbare Weise untereinander, sind dabei sehr einfallsreich“, lobt Anne Küppers ihre Schüler. Die Leiterin der Gemeinschaftsgrundschule Kaldenkirchen und ihre Kollegen müssen ebenfalls einfallsreich sein, wenn sie Kinder von Flüchtlingen unterrichten: „Wir sind ziemlich auf uns allein gestellt.“

Anne Küppers, Schulleiterin

Flüchtlingskinder, die an Nettetaler Schulen aufgenommen werden, haben fast alle eins gemeinsam: Sie sprechen kein Deutsch. Für die Lehrer ist das eine besondere Herausforderung: „Die Kinder müssen die Sprache lernen. Aber sie müssen auch am normalen Unterricht teilnehmen, schließlich sollen sie in den Schulfächern etwas lernen“, erläutert Küppers.

Von Sprachdefiziten sind alle Kinder betroffen, ob ihre Eltern nun Flüchtlinge sind oder Arbeitnehmer aus anderen EU-Ländern. Allemal gilt für sie die Schulpflicht in Nordrhein-Westfalen.

„Flüchtlinge mit Kindern werden von uns gleich über die bei uns herrschende Schulpflicht aufgeklärt. Zuständig ist der Fachbereich Schule, bei Bedarf ist auch das Familienbüro des Jugendamtes beteiligt“, stellt Roswitha Karallus von der Zentrale für Steuerung und Kommunikation im Rathaus klar. Knapp 50 Kinder von Flüchtlingen besuchen derzeit Nettetaler Schulen. Grundschüler kommen meist „an Schulen in dem Stadtteil, in dem sie wohnen“.

Anders sieht das bei weiterführenden Schulen aus — die meisten Flüchtlingskinder gehen zur Hauptschule Kaldenkirchen: „Bei uns sind derzeit 23 Schüler aus rund zehn verschiedenen Herkunftsländern. Sie sprechen so gut wie kein Deutsch“, sagt Julia Kaizik. Für die Leiterin der Hauptschule heiß das: „Wir mussten eine Seiteneinsteigerklasse bilden.“

In solch einer Auffangklasse lernen Schüler aller Jahrgänge zunächst die Sprache. In Kaldenkirchen unterrichtet sie Uta Reimann, die Erfahrung im Fach Deutsch als Zweitsprache hat. „Neben dem Unterrichten kommt es darauf an, einen Zugang zu diesen Kindern zu finden“, sagt sie.

Das nicht nur wegen der Sprachbarriere manchmal nicht leicht. Manche Kindern seien verängstigt und traumatisiert vom Krieg und von der Flucht, hat die Lehrerin feststellen müssen. „Anfangs wissen wir kaum etwas über sie“, sagt sie. Umso wichtiger sei es, dass die Schüler der Seiteneinsteigerklasse nicht ghettoisiert werden: „Wir lernen immer für ein paar Stunden in kleinen Gruppen Deutsch, ansonsten gehen die Schüler in den normalen Unterricht“, erläutert Uta Reimann. Ihre Chefin Julia Kaizik weist dabei auf ein Problem hin: „Einige wenige Schüler gehören von ihrem ganz persönlichen Bildungsstand her eigentlich auf andere Schulen, zum Beispiel aufs Gymnasium.“

Ihr kritischer Eindruck: „Unsere Hauptschule ist erst mal eine Art Auffanglanger, das ist sicher nicht Sinn der Sache.“ Sie verstehe allerdings, dass übergeordnete Stellen, „auch die Stadt“, durch den Zustrom von Flüchtlingen „noch überfordert“ seien. Weshalb sich die Schulleiter „allein gelassen fühlen und sich untereinander selbst verständigen müssen“, wenn etwa ein Schüler auf eine andere Schulform gehöre.

Dabei haben die Kinder Spaß — wie das Mädchen und sein neuer Mitschüler, dessen Familie nach Deutschland floh. Beide tippen unentwegt mit den Zeigefingern herum: „Das ist meine Nase, das ist mein Hose, das ist meine Tasche…“

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