Wegberger Klinik-Prozess: Der Daumen ist ab - War es ein Kunstfehler?

In der Wegberger Klinik soll der frühere Chefarzt einen Mann falsch behandelt haben.

Wegberg. Wenn David Markarjan steht und mit jemandem spricht, hält er die Hände verschränkt, die Linke unter der Rechten. So sieht niemand, dass an seinem linken Daumen der größte Teil fehlt. Verloren hat er ihn nach einem Arbeitsunfall im August 2005. Und jetzt klärt das Landgericht Mönchengladbach, ob es sich dabei um einen ärztlichen Kunstfehler handelte.

Markarjan wurde in der Wegberger St. Antoniusklinik behandelt. Dessen ehemaligem Chefarzt Dr. Arnold Pier wirft die Staatsanwaltschaft und inzwischen nur noch zwei Mitangeklagten in einem Mammutprozess insgesamt sieben Todesfälle und zahlreiche Körperverletzungen vor. Einer dieser Fälle ist Markarjan. Das Gericht muss klären, ob der Daumen hätte gerettet werden können, wenn man Markarjan anders behandelt hätte.

Rückblende: Markarjan arbeitet im August 2005 an einer Kreissäge. Plötzlich gerät die linke Hand in das Sägeblatt. Der Daumen wird fast völlig abgetrennt. Die Sekretärin der Firma fährt Markarjan in die nahegelegene Antoniusklinik. "In der Notaufnahme waren mehrere Ärzte, darunter auch Dr. Pier", erinnert sich Markarjan im Zeugenstand. "Er hat sofort gesagt: amputieren." Dann habe Pier sich korrigiert: "Ich mach’ ihn wieder dran, ich versuch’ das."

Pier hatte das Gespräch in seiner Aussage anders geschildert. Mehrfach habe er den Mann darauf hingewiesen, sich in einer Spezialklinik behandeln zu lassen, er habe das nicht gewollt. "Mir war egal, welcher Arzt mich behandelt", sagt Markarjan. "Wenn mir jemand sagt: Ich mach das, dann gehe ich auch davon aus, dass er das kann."

Tatsächlich gibt es eine Unterschrift des Patienten unter der Aussage, auf eigenen Wunsch in Wegberg behandelt werden zu wollen. "Das ist meine Unterschrift", sagt dieser am Richtertisch. "Aber ich kann mich nicht erinnern, wann und unter welchen Umständen ich die gegeben haben soll."

Pier operiert, findet die Beugesehne nicht wieder, versteift daraufhin das Gelenk. Dann soll er weder Gefäße noch Nerven wieder miteinander verbunden, sondern einfach nur die Haut vernäht haben. "Dieser Ansatz war warten auf ein Wunder", sagt Gutachter Dr. Franz Jostkleigrewe.

Ohne eine Wiederherstellung der Strukturen sei nicht zu erwarten, dass es zur Durchblutung komme, man könne vielmehr die ausgedehnte Nekrose erwarten, die auch eingetreten sei. Der Daumen wurde von der Spitze her schwarz. In einer zweiten Operation nahm Pier das tote Gewebe weg. Erfolglos. Schließlich amputierte er den Daumen.

Der Gutachter fand etliche Kritikpunkte an Piers Vorgehen: "Er hat ausgeführt, er habe eine Lupenbrille mit zehnfacher Vergrößerung benutzt. Das zu sagen, zeigt, dass er keine Erfahrung im Umgang mit Handoperationen hat." Zum einen gebe es keine Brille mit so starker Vergrößerung, zum anderen müsse man für die Präparation der zu vernähenden Gefäße den Faktor 2,5 bis 3,5 benutzen.

"Sonst wird der Ausschnitt zu klein", so der Gutachter. Die Gefäße selbst müssten zwingend unter dem Mikroskop vernäht werden. Der Transport in eine Spezialklinik wäre möglich gewesen, "und in einer solchen liegen die Anwachs-Chancen bei 80 bis 90 Prozent."

Schon 2001 war Markarjan mit einem verletzten Daumen in die Antonius-Klinik gekommen. Da hatte er sich bei einem Sturz eine Sehne abgerissen. Piers Vorgänger hatte ihn in eine Spezialklinik nach Eschweiler geschickt. Der Daumen war ohne Bewegungseinschränkungen geheilt.

Ins Rollen gekommen war dieser Teil des Verfahrens durch eine anonyme Anzeige. 2007 hatte die Polizei Markarjan zu einer Aussage aufgefordert, weil "jemand, der im OP dabei war", so hat der Patient die Polizisten verstanden, Anzeige erstattet habe. Markarjan selbst hat nicht auf Schmerzensgeld geklagt.

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