“Mobile Retter“ App soll Ersthelfer schneller zu Patienten bringen

Kreis Viersen · Ergänzend zum Rettungsdienst werden bei zeitkritischen Notfällen im Kreis Viersen ab sofort über eine App auch mobile Retter alarmiert. Noch werden dafür weitere ehrenamtliche Ersthelfer gesucht.

 Stellten das App-basierte System vor: Landrat Andreas Coenen, Dennis Brüntje, Julia Treptow, Jens Ernesti und Rainer Höckels (v.l.).

Stellten das App-basierte System vor: Landrat Andreas Coenen, Dennis Brüntje, Julia Treptow, Jens Ernesti und Rainer Höckels (v.l.).

Foto: Nadine Fischer

Mitten in der Fußgängerzone wird eine Seniorin ohnmächtig, im heimischen Wohnzimmer klagt der Familienvater über starke Kreislaufprobleme, der Kollege im Büro signalisiert, dass er heftige Schmerzen im Brustkorb verspürt: In Situationen wie diesen ist schnelle Hilfe gefragt. Wird der Notruf gewählt, dauert es in städtischen Bereichen im Kreis Viersen bestenfalls höchstens acht Minuten, bis der Rettungsdienst am Einsatzort angekommen ist. Rund 13 Minuten sind es in den ländlicheren Bereichen. Künftig sollen erste ehrenamtliche Helfer bereits nach viereinhalb Minuten eingetroffen sein, wenn über die 112 ein Notruf wegen Herz-Kreislauf-Stillstand oder einer bewusstlosen Person eingeht. Alarmiert werden die medizinisch qualifizierten Ersthelfer über die App „Mobile Retter“, die ab sofort für den Kreis Viersen live geschaltet ist. 126 mobile Retter gibt es zum Start bereits, doch es sollen noch mehr werden.

In 36 Kreisen und kreisfreien Städten wird die App mittlerweile angewendet. Start war 2014. Im Kreis Viersen hatte die SPD beantragt, sie einzuführen. Dieses System sei „wertvoll und wichtig“, betonte Landrat Andreas Coenen (CDU) jetzt anlässlich des App-Starts. „Es ergänzt unseren Rettungsdienst, den wir nach Kräften optimal aufstellen.“ Jens Ernesti, Kreis-Dezernent für Bevölkerungsschutz, fügte an, dass die Zahl der Einsätze, bei denen ein Mensch reanimiert werden musste, eine „steigende Tendenz“ aufwiesen: Im Jahr 2020 seien es kreisweit 145 Einsätze gewesen, 2021 seien es 170 und im laufenden Jahr bereits 270 gewesen. Das zeige, wie wichtig und notwendig das „Mobile Retter“-Projekt sei.

Nach einem entsprechenden Beschluss in der Politik begann die Planung für das smartphonebasierte System 2019. Dann habe Corona-bedingt pausiert werden müssen, berichtete der Geschäftsführer des Kölner Vereins Mobile Retter, Dennis Brüntje. Der Verein unterstützt Städte und Kreise dabei, das Ersthelfer-Projekt anzuschieben. Die Einführung des Systems hat nach Angaben des Kreises rund 51 500 Euro gekostet. Das seien vor allem Kosten für die Technikimplementierung und die Anpassung der Technik in der Leitstelle gewesen. Hinzu kämen laufende Kosten, etwa für die Versicherung der mobilen Retter.

Nun sind die Vorbereitungen, zu denen unter anderem Schulungen der ersten mobilen Retter gehörten, abgeschlossen – und das Werben um weitere Retter beginnt. Mindestens 600 sollen es werden, damit möglichst flächendeckend im Kreis Viersen ein qualifizierter Ersthelfer im Notfall auch tatsächlich innerhalb von durchschnittlich viereinhalb Minuten am Einsatzort ankommt. Als mobiler Retter eignet sich, wer medizinische Erfahrung oder Einsatz-Erfahrung hat. Das können zum Beispiel Ärzte, Rettungsschwimmer, Rettungsdienstler, Feuerwehrleute, Arzthelfer, Pfleger, Medizinstudenten oder Betriebssanitäter sein. In der App „Mobile Retter“, die über die gängigen Stores aufs Smartphone geladen werden kann, registrieren sie sich. Mittels GPS erkennt die App ihren Standort.

Geht in der Leitstelle im Kreis Viersen ein Notruf zu einem Herz-Kreislauf-Stillstand ein, würden ergänzend zum Regel-Rettungsdienst automatisch auch die beiden mobilen Retter informiert, deren Standort im Umkreis von sechs Minuten liegt, erläuterte Rainer Höckels, Leiter des Amtes für Bevölkerungsschutz. Sie können den Einsatz annehmen oder ablehnen. Letzteres gelte nicht als unterlassene Hilfeleistung, betonte Projektleiterin Julia Treptow vom Amt für Bevölkerungsschutz. „Das System sucht sich dann den nächstmöglichen freien Retter.“ Nimmt der mobile Retter den Einsatz an, macht er sich auf den Weg und kann sich über die App navigieren lassen. Als Notfall-Equipment hat er eine Beatmungsfolie und Handschuhe zur Verfügung. Beides befindet sich klein zusammengefaltet in einem mit Schlüsselring versehenen Täschchen des Vereins Mobile Retter.

Wer in der App registriert ist, muss erst noch an zwei Schulungen teilnehmen, bevor er einsatzbereit ist. Jeweils 90 Minuten Theorie und Praxis werden gefordert. Die Teilnehmer absolvieren unter anderem ein Reanimationstraining, üben den Umgang mit dem Defibrillator, erhalten eine Einweisung ins System, werden über rechtliche Grundlagen, Versicherungen und mögliche Gefahren an der Einsatzstelle informiert.

Mitglieder des Deutschen Roten Kreuzes, der Malteser und der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft im Kreis Viersen haben sich zu Trainern ausbilden lassen, die angehende mobile Retter schulen. 35 Trainer gebe es bereits, 126 mobile Retter hätten die Trainings besucht, berichtete Landrat Coenen. „Das ist eine gute Bilanz, das freut mich sehr.“ Coenen lobte und dankte für den Einsatzwillen: Diese Menschen seien ohnehin stark beruflich belastet, stellten sich nun noch zusätzlich in ihrer Freizeit zur Verfügung. 

Rainer Höckels wies darauf hin, dass die nächsten Schulungen bereits in der ersten Novemberwoche angeboten werden. Das Ziel sei, innerhalb eines Jahres die 600 mobilen Retter im Kreis Viersen zu haben.

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