Gasexplosion: Schwalmtal schrammt an Katastrophe vorbei

Schwalmtal. Manche nennen es Schicksal, andere Zufall. Dass bei der schweren Explosion eines alten Reihenhauses in Amern nur zwei Menschen leicht verletzt wurden, grenzt an ein Wunder.

Für einen Teil dieses Wunders sind zwei junge Polizeibeamte zuständig, die die Situation schnell erfassten und ebenso schnell handelten.

Jens Faßbender und Stefan Rentergent kehrten in ihrem Streifenwagen gerade von einer Streitschlichtung unter Jugendlichen zurück. Als sie am Haus Dorfstraße 46 vorbeikamen, sahen sie die Mieterin (55) mit angesengten Haaren vor der Tür stehen. Aus den Fenstern züngelten Flammen. "Und davor flimmerte die Luft", sagt Faßbender. Er begreift: "Da brennt es, und da ist Gas, das verträgt sich nicht." Über den Außenlautsprecher warnt Rentergent die Frau: "Schnell weg hier." Gleichzeitig setzen die Beamten die Meldung an die Leitstelle ab, die setzt die Feuerwehr in Marsch.

Rentergent bringt den Streifenwagen noch sicher um die Straßenecke, dann knallt es. Einmal laut, kurz darauf noch einmal, etwas leiser. Der 28-jährige Niederkrüchtener im Golf hinter dem Streifenwagen kommt nicht ohne Blessuren davon. Trümmerteile treffen sein Auto an der Beifahrerseite. Dort sitzt aber niemand, den es hätte schlimmer treffen können. Er selbst kann das Krankenhaus schnell wieder verlassen.

In den Minuten, bevor die Feuerwehr eintrifft, haben die beiden Polizisten schon die Nachbarn aus den angrenzenden Häusern geholt. "Die erste Alarmierung lautete: brennende Gasflasche", erzählt Schwalmtals Wehrführer Achim Ahlers. "Noch auf der Anfahrt wurde das in Gasexplosion korrigiert." Er alarmiert den Löschzug Waldniel nach. Am Ende ist die Wehr mit 45 Leuten und zehn Fahrzeugen vor Ort.

Das Feuer ist schnell gelöscht, die Mieterin mit leichten Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. Bald ist klar: Sie hatte einen Gasofen angemacht, war kurz aus dem Zimmer gegangen. Als sie zurückkehrte, stand der Ofen in Flammen. Sie versuchte zu löschen. Als das scheiterte, lief sie vors Haus.

Die Nachbarn erholen sich vom ersten Schock. Regina Otten saß im Sessel im Wohnzimmer - und flog regelrecht hoch. Sie sorgte sich um ihren Mann Heinz, der sich im Gartenhaus ein wenig ausruhte. In der Wohnung von Gerlinde und Dieter Münten, ein Haus weiter, war der Knall schon nicht mehr so laut, aber auch sie müssen ih Haus aus Sicherheitsgründen verlassen. Nachbar Markus F. hat noch das Bersten der Scheiben in den Ohren: "Erst etwas wie ein Überschallknall, dann war es, als ob ein Glascontainer vom LKW fällt." Bis auf die Nachbarn im direkt angebauten Haus können später alle zurück in ihre Häuser. Nur Strom gibt es nicht mehr.

20 Uhr: Die Fassade neigt sich bedrohlich in Richtung Straße. In der ersten Stunde nach dem Unglück kann man förmlich zusehen, wie sie sich bewegt, dann steht sie schief, aber still. Das THW rückt an - mit Einheiten aus Viersen, Mönchengladbach, Hückelhoven, Neuss und Remscheid. Aus Remscheid kommt das ESS, das Einsatz-Sicherungs-System, das mittels Lasertechnik prüft, ob sich die Fassade weiter bewegt, während die Helfer arbeiten. Gegen Mitternacht sind endlich alle Rettungsmittel da, das THW geht ans Werk. Das dauert bis morgens gegen fünf Uhr.

Freitag, 10 Uhr. Ortstermin. Vertreter der Gemeinde, des Kreis-Bauamtes, des Busunternehmens, das dort Linie fährt, ein Statiker, die Polizei und der Eigentümer treffen sich. "Ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll", sagt Eigentümer Reiner Mertens aus Dülken. Ihm gehört der Altbau seit neun Jahren. Das Bauordnungsamt gibt die Richtung vor: "So schnell wie möglich die öffentliche Gefahr beseitigen." Der Bauhof hilft mit Absperrgittern, Mertens engagiert den ortsansässigen Architekten Kunni Brasseler, der auch über weite Teile der Nacht als Nachbar mit vor Ort war. Brasseler besorgt einen Dachdecker und einen Bauunternehmer. "Jetzt geht alles schnell", kündigt er an.

Die Straße bleibt teilweise gesperrt, der Bus wird umgeleitet. Der Kreis verschiebt eine geplante Baumaßnahme an Teerdecken in Amern, damit überhaupt irgendwo in dem Ortsteil gefahren werden kann. Dann taucht die Postbotin auf: "Wo soll ich denn jetzt die Briefe einwerfen?" fragt sie. Je mehr Dinge sich klären, desto mehr Fragen tauchen auf. Wohin soll die Mieterin nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus gehen. Das Ordnungsamt kümmert sich drum.

Viele Nachbarn wollen aber auch einfach wissen. "Wer kommt für die Schäden auf?" Die Frage, wer bezahlt, sei in diesem Fall nicht einfach zu beantworten, sagt Helmut Baumeister, Niederrhein-Sprecher im Bundesverband der Versicherungskaufleute.

Zunächst muss die Gebäudeversicherung des Eigentümers dafür aufkommen, auch für die Abwehr weiterer Schäden durch Sicherungsmaßnahmen wie Absperrgitter. Bei Schäden an den Nachbarhäusern müssen die Nachbarn auch zuerst die eigene Versicherung benachrichtigen. Für Möbel und Inventar ist die Hausratversicherung der Mieterin erster Ansprechpartner. Der Auto-Besitzer muss sich an seine Kasko-Versicherung wenden - falls vorhanden. Beim Thema Verletzungen springen zuerst die Krankenkassen der Verletzten ein.

Das Problem: Alle Versicherungen werden prüfen, ob es niemanden gibt, der das Unglück als Schuldiger - vielleicht auch fahrlässig - verursacht hat. Dann würden sie sich bei der Haftpflichtversicherung desjenigen das Geld zurückholen.

Ein technischer Defekt wäre noch schwieriger. Falls wirklich niemand, noch nicht einmal der Hersteller des Gasofens, Schuld trüge, würden die jeweiligen Versicherungen wohl auf ihren Kosten sitzen bleiben. Baumeister: "In solch schwierigen Fällen müssen sich häufig Juristen mit der Situation beschäftigen."

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