Analyse Im Wahlkampf brechen alte Wunden auf

Viersen. · Analyse Im Hauptausschuss kam es in der Frage der Beigeordneten-Nachfolge zum Eklat zwischen der Bürgermeisterin und der grünen Bürgermeisterkandidatin. Manch einer sieht Vorbereitungen auf eine schwarz-grüne Zusammenarbeit im künftigen Rat.

 „Zu unterstellen, wir hätten uns abgesprochen, ist absolut nicht in Ordnung!“, sagte Martina Maaßen.

„Zu unterstellen, wir hätten uns abgesprochen, ist absolut nicht in Ordnung!“, sagte Martina Maaßen.

Foto: Röse, Martin

Knapp drei Wochen vor der Bürgermeisterwahl am 13. September ist es im Hauptausschuss zwischen der grünen Bürgermeisterkandidatin Martina Maaßen und der SPD-Kandidatin und Amtsinhaberin Sabine Anemüller zum Eklat gekommen. Stein des Anstoßes war die Frage, wie ein Nachfolger für die scheidende parteilose Beigeordnete Çigdem Bern gefunden werden soll.

Anemüller hatte vorgeschlagen, die Stelle mit einer Bewerbungsfrist bis 7. Oktober auszuschreiben. Unter ihrer Leitung solle dann eine Personalfindungskommission eingerichtet werden, in die die beiden größten Ratsfraktionen je zwei und die übrigen Fraktionen je ein Mitglied entsenden. Bedeutet: zwei Vertreter für CDU und SPD, je einer für Grüne, FDP und Linke.

„Das tragen wir nicht mit“, sagte Maaßen, die natürlich hofft, dass die Grünen bei der Kommunalwahl mehr Stimmen als die SPD erhalten. Die Bürgermeisterin dürfe dem neuen Rat nicht vorgreifen, forderte sie. Und während Anemüller noch davor warnte, „ohne Not eine längere Vakanz“ aufzubauen, „ausgerechnet in dem großen Bereich, den Frau Bern verantwortet“, lief sich schon Ozan Atakani (SPD) warm: „Unverantwortlich“ sei es gegenüber den 530 Mitarbeitern in dem Fachbereich, „aus wahlkampftaktischen Gründen die Stellenbesetzung hinauszuschieben“. Was Stephan Sillekens (CDU) zu der Bemerkung veranlasste: „Es scheint ja so, dass da einer ganz besonders viel Angst vor dem Wahlergebnis hat.“ Auch Sillekens plädierte dafür, bis nach der Wahl zu warten – schließlich gelte es, die Entscheidung der Bürger zu respektieren, was auch die FDP so sieht. „Wir hatten lange Zeit drei Vakanzen“, sagte deren Fraktionschef Stefan Feiter. „Das ging auch.“

So lange beide Seiten nur ihre hehren Absichten darlegten, blieb die Stimmung zwar angespannt, aber gut. Auf der einen Seite CDU, Grüne und FDP, die Respekt vor der Entscheidung des Wählers einforderten. Auf der anderen Seite SPD und Linke, die die Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern im Fachbereich hervorhoben.

SPD: Es gibt Pläne für eine schwarz-grüne Zusammenarbeit

Frostig wurde es erst, als der SPD-Vorsitzende Michael Lamberz die Personalfindungskommission ansprach. „In den Personalfindungskommissionen war es immer das Bestreben, die Besetzung einvernehmlich zu lösen. Da ging es weniger um Parteiräson“, sagte er. „Wir als SPD versuchen immer, die Interessen der Stadt nach vorne zu stellen.“ Als Anemüller die Aussage verstärkte („In allen Findungskommissionen haben wir bisher nach Kompetenz geurteilt, nicht nach politischen Ambitionen oder Vorlieben“) deutete Martina Maaßen das als indirekten Angriff. „Das ist echt eine Unverschämtheit, die ich entschieden zurückweisen möchte“, sagte sie zur Bürgermeisterin. „Zu unterstellen, wir hätten uns hier schon abgesprochen, um Personen klar zu haben, ist absolut nicht in Ordnung.“ Anemüller entgegnete: „Sie haben mich falsch verstanden. Ich habe die Findungskommissionen durchweg gelobt. Bitte verdrehen Sie nicht meine Worte!“

Um zu verstehen, warum Maaßen so reagierte, muss man die Vorgeschichte kennen. Die Absprache, dass die Grünen bei der Bürgermeister-Stichwahl vor fünf Jahren dazu aufriefen, den CDU-Kandidaten Paul Schrömbges zu wählen – und die Gegenleistung, dass Maaßen im Gegenzug seine Beigeordneten-Stelle bekäme. Als Schrömbges die Wahl verlor und Beigeordneter blieb, war die Kooperation perdu. Es brauchte bis 2018, bis beide Parteien wieder eng zusammenarbeiten. Beide Parteien hatten gemeinsam das vorläufige Verlassen aus dem Haushaltssicherungskonzept durchgesetzt, sahen weitere Möglichkeiten, ihre „Gestaltungsmehrheit“ von 30 Sitzen im 56-köpfigen Stadtrat zu nutzen.

Als die Stelle des Kämmerers nach dem Weggang von Norbert Dahmen (CDU) und die Beigeordneten-Stelle nach der Pensionierung von Paul Schrömbges (CDU) vakant waren, pochte die CDU auf ihr Vorschlagsrecht, hatte für beide Ämter Kandidaten mit CDU-Parteibuch benannt. Doch die Grünen machten beim CDU-Vorschlag fürs Amt des Kämmerers nicht mit, weil sie Zweifel an der Kompetenz des Kandidaten hatten. Der heutige Kämmerer Christian Canzler (CDU) hatte sich zunächst auf die Stelle von Schrömbges beworben, hinterließ in der Personalfindungskommission und bei den Fraktionen einen guten Eindruck, konnte aber auch Kämmerer. So kam es zur Rochade: Die Stelle des Kämmerers wurde erneut ausgeschrieben, Canzler gebeten, sich zu bewerben. Die parteilose Bern, die ebenfalls Findungskommission und Fraktionen überzeugt hatte, bekam die Stelle der Beigeordneten für Soziales, Familie, Kultur, Jugend und Sport. Gerade weil die Grünen nicht nach Parteiräson entschieden und damit ihre unausgesprochene Kooperation mit der CDU Schaden nahm, reagierte Maaßen so pikiert auf die Aussage der Bürgermeisterin.

Natürlich haben beide Seiten Recht. Auf der einen Seite: Der größte Geschäftsbereich der Stadtverwaltung braucht schnellstmöglich wieder einen klugen Kopf an der Spitze. Befasst sich erst der neue Rat Ende Dezember mit der Ausschreibung, wird ein neuer Beigeordneter kaum vor Juli 2021 im Amt sein. Auf der anderen Seite: Natürlich darf die Bürgermeisterin dem neuen Rat und einem möglichen neuen Bürgermeister nicht vorgreifen. Dass der CDU-Bürgermeisterkandidat Christoph Hopp sich im Falle eines Wahlsieges vorstellen könnte, einzelne Fachbereiche aus Berns Geschäftsbereichs in den Geschäftsbereich des Bürgermeisters zu ziehen, gilt als sicher. Zumal er bereits 2018, damals noch parteilos, Interesse an dem Job des Beigeordneten bekundet hatte. Und: In seiner Wahlkampagne spricht Hopp von „Fahrplänen“, die Viersen brauche. Fahrpläne aber funktionieren nur mit einer verlässlichen Mehrheit im Stadtrat – ohne einen Kooperationspartner wird es nicht gehen. Welcher das sein wird, darüber herrscht zumindest beim SPD-Fraktionsvorsitzenden Manuel García Limia kein Zweifel: „Wir haben jetzt erlebt, dass es Vorbereitungen für eine schwarz-grüne Zusammenarbeit in Viersen gibt.“

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