Sabine Anemüller, Bürgermeisterin von Viersen „Auch meine Geduld ist begrenzt“

Viersens Bürgermeisterin über Gratis-W-Lan in der City, ein Ultimatum beim Hotel-Projekt und ihre neue Frisur.

 Sabine Anemüller sprach im Interview nicht nur über anstehende Pläne und Vorhaben, sondern auch über ihre neue Frisur.

Sabine Anemüller sprach im Interview nicht nur über anstehende Pläne und Vorhaben, sondern auch über ihre neue Frisur.

Foto: Martin Röse

Was wird das wichtigste Ereignis für die Viersener in diesem Jahr?

Sabine Anemüller: Für viele Viersener bedeutet es auf jeden Fall eine Erleichterung: Bis zum Jahresende wird die Großbaustelle für den Tiefensammler, das riesige Regenrückhaltebecken unter der Freiheitsstraße, beendet. Die Arbeiten liegen sehr gut im Zeitplan. Das ist auch für uns als Stadt wichtig, weil wir ja Pläne für die Zeit danach haben: An der Kreuzung bei McDonald’s will die VAB ein besonderes Mehrfamilienhaus bauen. Der interne Arbeitstitel ist „Starterhaus“ - dort sollen Auszubildende, Studierende ihre erste eigene Wohnung finden. So wollen wir die jungen Leute in Viersen halten. Zum anderen ist auf der Freiheitsstraße ein Radweg geplant, so dass die Menschen auch emissionsfrei zur Arbeit oder in die Stadt kommen können.

Man hat den Eindruck, dass sich Viersen beim Thema Klimaschutz schwer tut. In anderen Städten sind schon vor zwei Jahren die ersten Pop-up-Radwege aus dem Boden geschossen, in Viersen warten die Parteien noch immer darauf, dass ihre zahlreichen Anträge zu Radwegen und Radzonen von der Verwaltung zu einem Konzept zusammengefasst werden. Wann passiert da mal was?

Anemüller: Mir geht’s auch nicht schnell genug. Uns fehlte aber bislang das Personal. Die entsprechenden Stellen waren frühzeitig ausgeschrieben, aber erst in diesem Jahr wird das Team der Stabsstelle Klimaschutz mit Klimaschutzmanager, Nahmobilitätsmanager und weiteren Kräften vollständig sein. Und vieles, was gut klingt, ist in der Umsetzung dann doch diffizil. Wenn’s nach mir ginge, könnten wir Tempo 30 in ganz Viersen haben. Da sagen mir aber die Verkehrsbetriebe: Das haut mit unseren Fahrplänen nicht hin. Hinzu kommt: Viele innerstädtische Straßen liegen nicht in der Hoheit der Stadt, sondern vom Landesbetrieb Straßen NRW. Da können wir als Stadt Wünsche äußern und verhandeln, aber die Entscheidung liegt nicht bei uns.

Mal unabhängig vom Verkehrssektor: Wie stellt sich die Stadt für den Klimawandel auf?

Anemüller: Wir wollen Klimaneutralität erreichen. Vielleicht kommen wir zu einer Selbstverpflichtung, dass bei jeder Entscheidungsvorlage auch auf bestimmte Dinge wie CO2-Ausstoß geachtet wird. Viele Projekte sind ja auch schon angestoßen, ob Blühstreifen, Bürgerwald, der vermehrte Einsatz von E-Autos in der Stadtverwaltung. Das Klimafolgen-Anpassungskonzept ist beauftragt. Und ich erhoffe mir viele Vorschläge von der Stabsstelle Klimaschutz. Ebenso erhoffe ich mir von der Bundesregierung Förderprogramme für Dachbegrünung und Photovoltaik. Aber machen wir uns nichts vor: Es wird manche schmerzliche Entscheidung geben müssen, mit guten Argumenten auf beiden Seiten. Nehmen Sie nur mal die Überlegung, die Zahl der Parkplätze in Viersen zu reduzieren.

Wie ist eigentlich der Stand beim geplanten Inklusionshotel?

Anemüller: Ich finde den Gedanken richtig, dass Menschen mit Behinderungen nicht nur in speziellen Werkstätten arbeiten, sondern in ganz normalen Betrieben, wenn das trotz der Einschränkungen machbar ist. Ebenso ist es meine Überzeugung, dass Viersen ein Hotel braucht. Ich bin Verfechterin des Inklusionshotels. Allerdings ist auch meine Geduld begrenzt. Wenn in drei Monaten die Planungen nicht spruchreif sind, dann kommt das Hotel nicht. Dann wird die VAB dort Wohnungen bauen. Die brauchen wir nämlich auch dringend.

Die Stadt wächst, allein im Dezember kamen fast 500 Neubürger nach Viersen. Aber große neue Wohngebiete hat die Stadt derzeit nicht…

Anemüller: Wir haben aber noch kleinere Ecken. Ein wichtiger Schritt bei deren Entwicklung ist die inhaltliche Neuausrichtung unserer städtischen Tochter, der Grundstücks-Marketing-Gesellschaft. Sie soll wieder dafür da sein, wofür die GMG gegründet wurde: Impulse bei der Entwicklung geben, aber umsetzen lassen, mithilfe von Investoren. So wollen wir bestehende Brachflächen wohnlich oder gewerblich nutzen.

Apropos Gewerbe. Auch da fehlen größere Flächen. So kann Viersen doch keine neuen Firmen ansiedeln.

Anemüller: Unser Problem als Stadt ist, dass wir keine zusätzlichen Gewerbegebiete ausweisen und versiegeln dürfen. Da ist unser Limit erreicht. Wir können nur noch Brachflächen reaktivieren.

Was ist denn mit dem geplanten gemeinsamen Gewerbegebiet mit der Stadt Mönchengladbach bei Mackenstein?

Anemüller: Das lässt sich aus Sicht der Stadt Mönchengladbach nicht realisieren, und aus unserer auch nicht. Hier habe ich vor, das als Tauschfläche für ein neues Gewerbegebiet an anderer Stelle zu nutzen, die meines Erachtens besser geeignet ist.

Die liegt wo?

Anemüller: Dazu werde ich zeitnah mit der Politik das Gespräch suchen.

Ihr Büro im Stadthaus liegt direkt am Busbahnhof. Dort kam es in den vergangenen Wochen zu Vandalismus an der Einkaufspassage, es gab weitere Straftaten. Anwohner berichten, dass sie Angst vor Jugendlichen hätten, die dort abends in Gruppenstärke auftreten. Was tut die Stadt, damit der Busbahnhof keine No-go-Area wird?

Anemüller: In der Tat ist es dort in der Vergangenheit zu Vorfällen gekommen. Das habe ich zum Teil von meinem Bürofenster aus gesehen - und dann das Fenster aufgerissen und heruntergerufen.

Nun werden persönliche Anpfiffe der Bürgermeisterin das Problem nicht strukturell lösen können…

Anemüller: Mein Eindruck ist, dass die Polizei nach unseren Hinweisen dort häufiger kontrolliert. Ich will das Problem auf zwei Ebenen angehen. Zum einen repressiv. Wir wollen dort mehr Licht schaffen, damit es keine dunklen Ecken mehr gibt, unser Kommunaler Ordnungsdienst ist dort verstärkt unterwegs, es gibt bald ein gemeinsames Treffen von Polizei und Ordnungsamt in der Angelegenheit, damit sich dort kein Brennpunkt entwickelt. Auch eine Videoüberwachung werden wir prüfen - aber die Hürden dafür sind aus datenschutzrechtlichen Gründen enorm hoch. Ich will da also keine unerfüllbaren Erwartungen wecken, aber auch nichts unversucht lassen. Die zweite Ebene ist Sozialarbeit. Die Altersspanne der Jugendlichen, die sich dort treffen, ist sehr groß. Ich habe die Hoffnung, dass wir zumindest einen Teil von ihnen erreichen können. Das Sozial- und das Jugendamt sind mit im Boot.

Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die Digitalisierung ist. Bis Jahresende sollte die Verkabelung aller Schulen für den Breitbandanschluss abgeschlossen sein. Sind die Arbeiten im Zeitplan?

Anemüller: Ja, wir werden bis Jahresende fertig. Digitalisierung betrifft aber nicht nur die Schulen. Das werden die Viersener bald bemerken, wenn wir in der Innenstadt von Alt-Viersen flächendeckend Gratis-W-Lan zur Verfügung stellen, mit Hilfe der Volksbank Viersen. Schon in zwei Monaten wird es so weit sein.

Ab 2026 soll der Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz kommen. Wie bereitet sich die Stadt darauf vor?

Anemüller: Wir arbeiten an einem Konzept, wie wir den Rechtsanspruch schrittweise umsetzen wollen. Das muss politisch noch beschlossen werden. Für den Ausbau der Ganztagsbetreuung an den Grundschulen müssen bauliche Veränderungen vorgenommen werden - und ich weiß noch gar nicht, ob wir angesichts des Fachkräftemangels die Menschen finden, die dort arbeiten sollen: die Erzieherinnen, die OGS-Kräfte…

Welchen Plan hat die Verwaltung, um dem Fachkräftemangel zu begegnen?

Anemüller: Mit dem Problem steht die Viersener Stadtverwaltung nicht alleine da. Der einzelne, qualifizierte Bewerber kann sich tatsächlich seinen Arbeitgeber aussuchen. Dabei fällt die Entscheidung oft für kommunale Arbeitgeber, die aufgrund der höheren Größenklasse bessere Konditionen bieten können. Dennoch muss sich Viersen nicht verstecken. Wir sind flexibler in der Gestaltung von Arbeitszeiten geworden und möchten das beibehalten. Wir legen Wert auf die Weiterqualifizierung unseres Personals. Mit einer zusätzlichen Stelle in der Personalverwaltung wollen wir unsere Vorteile als attraktiver Arbeitgeber besser darstellen. Und auch das derzeit in der Entwicklung befindliche neue Leitbild der Stadt Viersen spielt da hinein. Ich bewerbe mich ja lieber in einer attraktiven, coolen Stadt. Und da hat Viersen mit seiner sowohl ländlich als auch städtisch geprägten Struktur, mit seinem hohen Erholungswert und dem vielfältigen Kulturprogramm eine Menge zu bieten.

Zum Kulturprogramm: Was halten Sie von dem Vorschlag der Grünen, die Kulturbühne im Sommer für Karnevalisten zur Verfügung zu stellen?

Anemüller: Wir haben in eine ganz ähnliche Richtung gedacht. Die Kulturbühne soll im Sommer erneut zur Verfügung stehen, es passt zu unserem Konzept, dass Kultur nicht nur in der Festhalle, sondern beispielsweise auch im Bürgerhaus Dülken und an vielen anderen Orten stattfindet. Bei der Kulturbühne würden wir gerne mit einem externen Partner aus dem „Eier mit Speck“-Team zusammenarbeiten. In der Überlegung ist ein Wochenende mit Schlager und Karneval am Hohen Busch. Aber das ist nur ein Teil der Überlegungen.

Wie geht es weiter mit der Stadtentwicklung in Dülken und Süchteln?

Anemüller: Wir sind da auf einem guten Weg. Die bisherigen Maßnahmen zeigen Wirkung: In Süchteln ist rund um den Lindenplatz kein Leerstand mehr zu verzeichnen. Da passiert einiges. Hier kommt in diesem Jahr die sensible Umgestaltung des Alten Tierparks. Und in Arbeit ist ein verändertes Konzept für die Süchtelner Höhen. Dort wollen wir den Freizeitwert erhöhen, allerdings anders als am Hohen Busch nicht mit Sportanlagen. Das soll waldsensibel gestaltet werden. In Dülken freue ich mich, dass wir dem Bürgerhaus neues Leben einhauchen konnten, dass die Narrenmühle renoviert zurück ist. Die Umgestaltung der Lange Straße geht auf die Zielgerade.

Der Plan fürs Sozialrathaus in der ehemaligen Hauptpost wurde ad acta gelegt. Hat die Pandemie gezeigt, dass der Platzbedarf für die Verwaltung doch nicht mehr so groß ist, wie immer gedacht?

Anemüller: Leider nein. Mittelfristig benötigt die Stadtverwaltung zusätzliche Räume, trotz Homeoffice. Das Thema wird uns also erhalten bleiben.

Seit Jahren ist der Zustand der Schultoiletten in Viersen Thema. Wann räumen Sie das ab?

Anemüller: Unsere Untersuchung hat ergeben, dass es bauliche Schwächen gab, aber nur in einem kleinen Bereich. Die sind wir angegangen, haben Mängel beseitigt. Entscheidender aber ist: Viele Schultoiletten waren in keinem schlechten Zustand; das war eine Frage der Reinigung.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Sie haben eine neue Frisur. Was steckt dahinter?

Anemüller: Ich hatte kreisrunden Haarausfall. Das fing vor einem Jahr an. Von einem auf den anderen Tag fielen mir Haare aus. Die Krankheit ist noch nicht sehr erforscht, vermutlich war mein Immunsystem fehlgeleitet und kämpfte gegen körpereigene Zellen an. Zum Glück nichts wirklich Schlimmes, nur eine optische Sache. Ich habe während der Behandlung eine Perücke getragen; es scheint, als sei die Behandlung erfolgreich gewesen – mein Haar wächst wieder. Jetzt habe ich Locken. Die hatte ich mir als Kind immer gewünscht.

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