Brüggen: Chefin auf dem Dach

Meisterprüfung: Neun Monate hat Dachdeckerin Corinna Stevens die Schulbank gedrückt und den Abschluss geschafft. Als einzige Frau.

Brüggen. Sie ist zierlich, und auf 1,65 Meter kommt Corinna Stevens nur, wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellt. Aber die 25-Kilo-Rolle Blei packt sie sich auf die Schulter, ohne mit der Wimper zu zucken. "Die trag’ ich auch", sagt die frisch gebackene Dachdecker-Meisterin lächelnd.

"Aber ich bin auch mal froh, wenn sie mir jemand abnimmt." Seit zwei Wochen ist die 26-jährige Brüggenerin wieder zurück im Dachdecker-Betrieb ihres Vaters Karl-Heinz Stevens. Davor hat sie, gemeinsam mit einem Kollegen aus dem gleichen Betrieb, neun Monate lang in Mayen die Schulbank der Meisterklasse gedrückt. Als einzige Frau.

"Aber fast in jedem Jahrgang ist mittlerweile eine Frau", erzählt sie. Denn in vielen Familien steht das Thema Betriebsnachfolge an, und immer häufiger entschließen sich Töchter, doch in die Fußstapfen ihrer Väter zu treten und gut eingeführte Betriebe zu übernehmen. Für Corinna Stevens stand fest: "Wenn, dann richtig." Einfach nur die kaufmännische Seite zu lernen und dann die Mitarbeiter vom Büro aus zu führen, wäre nicht ihr Ding gewesen.

Aber eigentlich war zu Anfang, als sie mit der Schule fertig war, noch überhaupt keine Rede davon. Sie wollte in die Modebranche, lernte zunächst Bekleidungstechnikerin. Um dort weiter zu kommen, schloss sie die Ausbildung zur Industriekauffrau an. "Und in dieser Ausbildung ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, was meine Eltern hier aufgebaut haben, was das für eine Chance ist."

Vor 18 Jahren hat sich ihr Vater als Dachdeckermeister selbstständig gemacht. Inzwischen ist sein Betrieb eine feste Größe, die in Brüggen nicht mehr wegzudenken ist - mit zwölf Mitarbeitern. Trotzdem war es zunächst eine schwere Entscheidung. In dem Betrieb, in dem sie ihre kaufmännische Ausbildung abgeschlossen hatte, hätte sie bleiben können.

Die Dachdecker-Lehre war etwas völlig Neues. Aber schon nach ganz kurzer Zeit stellte die junge Frau fest, dass es "unheimlich viel Spaß" macht. "Es ist vielseitig, ich habe mit den verschiedensten Materialien zu tun - mit Metallen, Schiefer, Solaranlagen. Wir machen Fassaden", zählt sie begeistert auf.

Und dann sind da die Menschen - ihre Kollegen wie die Kunden und Lieferanten. Sie berät gern, zeigt den Kunden, was alles möglich ist für ihr Dach. Und die Kollegen schätzen sie. Dumme Sprüche über die "Frau am Bau" kennt sie überhaupt nicht. Manchmal ist sogar ihre Größe ein schlagendes Argument. "Wenn es ganz besonders eng wird irgendwo, dann ruft schon mal jemand: Kannst Du das mal machen, ich pass’ da nicht rein", lächelt sie.

Dass der Betrieb nun mit ihrem Vater, ihr und ihrem Kollegen drei Meister hat, war zunächst nicht geplant. "Aber es ist gut so", sagt sie bestimmt. Und im Übrigen hieße Meister zu sein noch lange nicht "der Beste" zu sein. "Uns beiden Jungen hier machen unsere Altgesellen noch allemal etwas vor, und das wissen wir auch."

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