Kneipentheater: Schwank zwischen Friko und Bier

Im kleinen Örtchen Alst gibt es ein Kneipentheater — eines der letzten in Deutschland. Die Aufführungen sind stets ausverkauft.

Niederrhein. In den Saal der Gaststätte Optenplatz in der Brachter Sektion Alst würde keine Maus mehr passen: Dicht an dicht sitzen etwa 180 Besucher in engen Stuhlreihen, dazwischen stehen lange Tische mit Getränken — und im Vorraum liegen zur Stärkung Schnitzel, Frikadellen und Mettbrötchen bereit. Doch die müssen nun bis zur ersten Pause warten, denn soeben hebt sich der Vorhang zum ersten Akt des Schwanks „Finger weg von Erna Zeck“. Das Stimmengewirr weicht gespannter Ruhe: Wir befinden uns in einem der letzten Kneipentheater Deutschlands.

„Damit wir uns Kneipentheater nennen können, muss die Bühne im Gastraum sein“, sagt Rolf Hamacher. Der Vorsitzende des 1929 gegründeten Theatervereins „Einigkeit“ Alst in der Gemeinde Brüggen wird in wenigen Minuten selbst als „Gerhard Maurer“ auf der Bühne stehen. Besonders aufgeregt ist der 64-Jährige nicht: Schon seit 1990 spielt Hamacher, im „richtigen Leben“ bei der Düsseldorfer Bezirksregierung beschäftigt, regelmäßig Theater.

Im Schwank „Die verschenkte Hose“ musste damals die Rolle eines Landrats besetzt werden. „Dafür wärst du gut geeignet“, bekam Hamacher, der erst in den 80er Jahren mit seiner Familie in den Ort gezogen war, zu hören — und schon war er engagiert. Seitdem ist er aus dem Alster Theaterleben nicht mehr wegzudenken. „Das ist doch fast die einzige Gelegenheit, wo man für seine Arbeit Applaus bekommt. Das tut richtig gut“, sagt Hamacher begeistert. Einziger Wermutstropfen: „Das Lernen des Textes fällt mir schwer“ — und Souffleuse Sabine Busch will er ja auch nicht immer bemühen.

Wenige Minuten später steht Hamacher aber schon als Gerhard Maurer bei Rentnerin Erna Zeck (erstmals dabei: Gisela Heynen) im Wohnzimmer. Böse Baulöwen wollen der alten Dame ihr kleines Häuschen abjagen. Gemeinsam mit Freundin Beate Kohl (schon ein Bühnenprofi: Rosi Schmitz) knobeln sie aus, wie sie den geplanten Golfplatz verhindern können.

Der Schwank kommt sehr gut an im Publikum. Besonders dann, wenn Erna Zeck ihren unsichtbaren Vogel Hansi auf den Finger hüpfen lässt, werden Tränen gelacht. Und das wollen die Leute, erklärt Bruno Schüttler, der gemeinsam mit Linda Reuter Regie geführt hat: „Wir brauchen Schenkelklopfer, bei denen die Leute zwischendrin ihr Bier trinken können.“ Vor Jahren habe er mal mit einer selbstgeschriebenen Krimikomödie etwas anderes versucht, doch das sei nicht ganz so erfolgreich gewesen.

An sich ist die Truppe von „Einigkeit“ Alst erfolgsverwöhnt. Sieben Aufführungen pro Spielzeit sind vorgesehen, alle sind ausverkauft. Die Leute kommen von weither, um das Kneipentheater zu erleben. Der Ablauf ist dabei genau festgelegt: Im Herbst beginnen die Leseproben, nach Aschermittwoch wird die Bühne aufgebaut, ab diesem Zeitpunkt proben und spielen die Amateurschauspieler jeden Tag. Die letzte Aufführung ist immer am Palmsonntag — und endet traditionell mit dem großen Eierbraten fürs Publikum.

„Wir sind hier eine richtige Theaterfamilie“, sagt Regisseurin Linda Reuter, die schon als Kind erstmals auf der Kneipenbühne stand. Margit Czaja, in diesem Jahr als Schwester Monika dabei, kann das nur bestätigen: „Mein Vater hat mich zum Theater gebracht.“ Sie selbst hat ihren Freund Stephan Plettscher motiviert, als „Herr Schneider“ einen Baulöwen zu spielen. Und Rosi Schmitz hat sogar ihre Urgroßeltern engagiert: „Ihr Bild verwenden wir jetzt schon zum dritten Mal als Dekoration.“

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